laut nachdenken ist eine meiner Kern-Lösungs-Entwicklungs-Moves. laut nachdenken. aussprechen. mich anderen mit meinen Fragen zumuten und so in einem zufälligen Netz aus Ansichten Informationen finden. manchmal reicht es mir, vor mich hin zu tippen, so wie ich es hier tue. manchmal frage ich tatsächlich bestimmte Personen, deren Perspektive ich in dem Fall hilfreich fände. und manchmal erschöpfe ich mich selbst im Tränen-sharing…menschlich quasi und gar nicht weiter besonders.
es gibt so unfassbar viele Fragen. welches Leben würde ich leben, wenn es nicht am Geld hinge? lebe ich wirklich am besten in der Stadt oder wäre sowas gründuftig-ländliches nicht viel geiler? gibt es etwas was mir fehlt? wie möchte ich langfristig arbeiten? wäre ich politisch aktiver, wenn ich die Möglichkeiten hätte? ist es gut, für die eigenen Kinder auf etwas zu verzichten? in welchem Rahmen gehört das gemeinsame Einkommen mir?
hätte ich etwas anders gemacht, als ich es gemacht habe, wenn nur ein Faktor anders gewesen wäre?
naja, ich hätte jetzt wahrscheinlich einen Magister in Philosophie und einen Doktortitel in Linguistik, wenn ich meinen ersten Sohn nicht bekommen hätte. und/oder ich wäre Jazzsängerin. wäre ich mit dem zweiten Sohn nich schwanger geworden, wäre ich jetzt vielleicht Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. ich erinnere mich noch daran, wie ich die Informationen zusammen gesucht habe und wie ich gerechnet habe. wenn der Kleine nicht solche Schwierigkeiten mit dem Verzicht auf seinen Bruder in der Krabbelstube gehabt hätte, hätte ich jetzt ein vegetarisches Catering für Krabbelstuben. und wenn ich nicht zuhause geschlagen worden wäre, wäre ich jetzt Yogalehrerin.
das mag auf den ersten Blick irgendwie ziellos klingen, aber tatsächlich sind sich die einzelnen Bereiche ziemlich ähnlich und haben eine ganze Menge an Überschneidungen. und sie spiegeln alle Facetten von mir. und sie sind auch nicht abgehakt. sie sind „auf Eis“ bis zu dem Tag, an dem ich es mir leisten kann, diese einzelnen Wege wieder zu verfolgen. irgendwann.
den Magister und die wissenschaftliche Karriere habe ich beiseite geschoben als mich der Tod meines ersten Sohnes auseinandergenommen hat. mal echt: wen interessiert L2Acqusition wenn Du Dich an die kleine Urne erinnerst, die Du in die Erde gelegt hast? das halbe Jahr an der Seite dieses kleinen Menschen hat so viele Überzeugungen pulverisiert, dass ich echt nicht so schnell wieder an die Uni konnte. das Ergebnis: ein Diplom in Sozialpädagogik.
auf dem Weg zur Jazzsängerin war ich auch schon…also ganz vorsichtig, weil zu singen sich einfach irre invasiv anfühlt und ich ebenfalls seit Kilians Tod nicht mehr so viel Kontrolle über mich habe, dass ich nicht bei so manchen Parts triefend schluchze. well. vielleicht später.
für die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin stünden die Türen gerade weiter offen als bisher. es ist nur: je länger ich in unserem Jugendschutzsystem unterwegs bin, desto mehr verzweifle ich an der Unbeweglichkeit der Institutionen und dem Abrechnungssystem-Bohei. nee, die Kollegin kann dort nicht vertreten, weil das wäre ne andere Abrechnungsstelle, also kommen wir nicht drumrum, da jemanden reinzustressen, der/die zufällig schon dort abrechnet, scheiß egal, ob es menschlich passt. well. not funny. und so irrwitzig teuer, dass der Klassizismus da einfach schon von der Anmeldung trieft.
das Catering würde mich nach wie vor total glücklich machen, aber ich bin echt weit weg davon. richtig weit weg. in meinem aktuellen Alltag findet Kochen nicht mal halb so viel Raum, wie ich dem gern zugestehen würde. und alleine wäre das ohnehin zu viel. aber wer weiß, die Tür ist ja nicht zu.
und die Yogalehrerin ist ganz langsam gereift und reift noch…schließlich turne ich seit 20 Jahren auf meiner Matte rum. es gab die eine oder andere Pause, aber die Bewegungen sind mir so nah und so vertraut, dass es immer wieder wie nachhause kommen ist. als ich die Ausbildung zur Entspannungspädagogin gemacht habe, habe ich im Grunde genommen alles in Yoga übersetzt und mir einen Keks gefreut, dass es da so viele Verbindungen gibt. passende gedankliche Verbindungen in tibetischer Medizin kamen noch früher aus meiner Kletterphase Mitte 20, als ich auf dem Boden meines Schlafzimmers in Büchern davon geträumt habe, einmal durch den Himalaya zu laufen um den Mount Everest zu sehen. einmal einen Stein von dort zu halten. Bücher. Träume. ich bin keinem Traum gefolgt, weil ich immer dachte, dass mir das nur zustehen kann, wenn ich Geld habe.
ich lese schrecklich gern die Vitae von Yogalehrer:innen. wo die alle waren, verdammt! in Australien, Indien, Tibet, Thailand…und überall haben diese Menschen andere Menschen getroffen, mit denen sie sich verbinden konnten, weswegen diese jetzt in ihren Lebensläufen einen Platz haben. das klingt ganz schön wunderbar.
ich könnte auf Prof. Hofmann verweisen, der klinische Psychologie gelehrt hat, und der einen Verstand hatte, der gleichzeitig scharf und warm war. ich habe gelernt, quer zu denken und auf meine Intuition zu vertrauen. schräges zu verbinden. im Widerspruch die Übereinstimmung zu entdecken. oder Prof. Krause-Girth für Kinder- und Jugendpsycholgie: diese Frau war so unfassbar schnell und klar und sah auch genau so aus! einfach beeindruckend. durch sie weiß ich, wie wichtig meine professionelle Wut ist und wie ich damit arbeiten kann (und muss). dann ist da noch Christiane Hosemann, die die Weiterbildung zur Entspannungspädagogin für Kinder verkörpert. sie ist in dem Sinne kein Vorbild, weil sie ihre Energie aus einer Quelle zieht, die ich nicht antasten mag, aber sie ist inspirierend in ihrer Unermüdlichkeit und Klarheit. auf jeden Fall ist sie irgendwie unangreifbar und hat ein krass umfangreiches Wissen, dass sie auf Knopfdruck abrufen kann und eine fantastisch helle Energie, die ganze Geschosse füllt.
in meine Vita müssten noch ein paar Leute aus dem Theater. Ferdane müsste rein für die erdigste Energie, die ich kenne. Pedro müsste rein, weil er etwas zerstörerisches hat. Mirthe müsste rein, als ein Wesen, das nur aus Luft besteht. aber niemand von denen hat mich ausgebildet oder zertifiziert.
„dress for the job you want“…nach dem Satz möchte ich den ganzen Tag mit anderen Menschen die Arme strecken und mich in den Schneidersitz setzen und in das Herz lauschen. was für ein Luxus, in dieser Zeit einen Traum haben zu können. wie egoistisch, nur an mich und mein Gefühl dabei zu denken. wie unrealistisch, das mit einem leeren Sparbuch zu tun. und wer möchte schon eine Yogalehrer:in mit Hängebauch? schiebe ich das weiter auf? ergreife ich die Chance? Kredit? Crowdfunding? Privat-Anleihen? ist das „einem Traum folgen“? oder sollte ich einen kleineren Traum nehmen?
daran bleibe ich hängen. seit Wochen. lernen. spüren. die Stille ehren. und in einem endlosen langsamen Tanz Arme und Beine beugen und strecken. nicht für Publikum sondern für den einen Moment mit mir selbst. und aus diesem Moment heraus genau das anderen Menschen zeigen. dabei helfen, den eigenen Körper lieb zu haben. den Atem als Verbindung zu sich selbst zu erfahren. kleine Berührungen oder Haltungen für Miniaturen dessen, was möglich wäre, wenn der Raum größer wäre. ja zu sich selbst, ohne die Welt dabei zu vergessen. ja zu sich selbst in der Welt. ja zu Wut und Angst und Erschöpfung. liebevolles in sich selbst versenken. Aufmerksamkeit für den geblurrten Bereich zwischen Zwerchfell und Genitalien. stolz auf die Beine, die alles halten, was ich bin. zärtlich mit dem nimmermüden Gehirn unter den Haaren.
es gibt keinen Weg, dem ich folge. ich springe seit jeher durch die Möglichkeiten hierhin wie dorthin und folge Impulsen. navigiere nach dem Wetter sensibilisiert durch dieses Leben. ich habe viel Zeit darauf verwandt, zu werden. in der Zeit als Tänzerin im freien Theater wusste ich auch, dass ich körperlich arbeiten kann und will. dass mir dafür nur noch ein Zertifikat fehlt.
na, wie auch immer. „der Weg entsteht beim gehen“, nicht wahr? andere schreiben Bücher oder gehen in die Politik. und ich möchte eben auf den Boden und dort mit anderen das Aufstehen üben.
Liefs,
Minusch