different

„im Falle einer Apokalypse teilt sich der Rest der Menschheit auf in pro-Einhorn und egal-Einhorn und wir treffen uns hinter der Turnhalle!“

das hab ich 2017 geschrieben. der dahinter liegende Gedanke ist der, dass jede Krise das Potenzial hat, eine Spaltung herbeizuführen. beispielsweise in Systemerhalter*innen und Revolutionär*innen. oder Reiche und Arme. oder, wie gerade jetzt, in Menschen mit Kindern im Haushalt und Menschen ohne Kinder im Haushalt („Familie“ geht an dieser Stelle als Schlagwort nicht, weil sich ja auch Menschen ohne Kinder im Haushalt als Familie definieren).

Corona und Kinder. ein unfassbarer Faktor. Eltern kämpfen seit Jahren um Strukturen, die allen Familienformen den Freiraum geben, ab und zu mal durchzuschnaufen. und dann kommt eine Krise mit einer fetten Solidarität-Fahne und mit einem Schlag sind alle Hilfskonstruktionen für Familien weg. Solidarität. scheiße, ja, wir verstehen das! und für viele Kinder ist es sogar toll, nicht mehr im Korsett der Präsenzzeiten lernen zu müssen. gut, ja, andere Kinder als Peergroup fehlen schon und es ist blöde, dass Mama immer so ausflippt, wenn ich 5 Mal dieselbe Frage stelle. aber ausschlafen und Mathe im Schlafanzug ist toll. und das Essen zuhause ist auch besser als in der Schulkantine (oder ersetzen wir „besser“ mal mit „vertrauter“).

Homeschooling-Beginn als Vorläufer der Osterferien mit Aussicht auf Milderung nach den Ferien war sicher das Sprungbrett für viele Eltern, sich mit Fatalismus in den Aufbau des heimischen Digital-Standards zu stürzen. Was habe ich Zeit investiert, für beide Kinder die Zugänge zu den schnell überlasteten Lernplatformen zu finden, Zeiten zuzuweisen und parallel Arbeitsplatzexperimente zu überwachen, damit meine Kinder nicht von mir genötigt werden müssen sondern via free seating selbst verstehen, was für sie den Unterschied ausmacht zwischen Bett, Küchentisch, Fußboden im Kinderzimmer, mit Hörspiel und ohne Hörspiel, wenn es ums Aufgaben lösen geht. meine Kinder haben da Kompetenzen gesammelt. und ich meine Belastung ausgelotet.

was ein Glück musste ich nicht arbeiten, weil wir auf Verdacht (aber nicht getestet) in Isolation waren, die mit 3 Tagen Versatz in die Osterferien über ging. nach den Ferien mit Ostern und zwei Geburtstagen und etwa 25 Patenten für verschiedene neu erfundene Räder kam die Zeit nach den Ferien und ich musste Home Office machen. auch das ging. ich habe Informationen gesammelt, Berichte fertigstellt, wie eine Informations-Krake in zig Richtungen meine informationen weiterverteilt und endlich mal den Online-Brandschutzkurs gemacht. meine Kinder haben eine Woche gebraucht, um wieder in die Routine zu finden (so wie in Schulzeiten auch) und in der Woche kam die Info: Minusch, Du musst wieder an die Schule, und zwar in die Notbetreuung.

Bam. ich konnte den Scherben dabei zusehen, wie sie sich in Zeitlupe zu einem Haufen geformt haben. das, was wir hier gerade sorgfältig aufgebaut haben, wurde zumindest für zwei Vormittage die Woche zerschmettert für einen Auftrag, den ich für infektionsmäßig bedenklich halte mit dem Anspruch, auch meine Kinder in so eine infektionsmäßig bedenkliche Situation zu schicken, nachdem wir uns in die Krise auf echt hohem Quarantäne-Niveau eingefuchst hatten.

nach zwei Einsätzen musste ich meine Infektionsbedenken loslassen. sinnvoll oder nicht spielt in der ambulanten Hilfe eine untergeordnete Rolle. solange der Arbeitgeber Nase-Mund-Schutzmasken und Händedesinfektion anbietet, kann ich nicht sagen, dass mir das zu heavy ist. meine Hausärztin hat bitter aufgelacht, als ich von meinen Sorgen erzählt habe. Sie hatte nicht mal Osterferien zuhause und ist dem Rotz die ganze Zeit ausgesetzt. ich habe mich für meine Sorge angefangen zu schämen…da ehren wir virtuell das medizinische Fachpersonal und ich bin zu ängstlich für einen Notbetreuungseinsatz. Bam – Scham.

ich habe wieder wie eine Krake Informationen gesucht und mit anderen gesprochen, meine Sorge kommuniziert und bin bei vielen auf Verständnis gestoßen. nur nicht bei meinem Arbeitgeber (Surprise).

nach zwei Einsätzen waren meine Kinder völlig fertig, obwohl ich sie nicht in die Notbetreuung geschickt habe, sondern Betreuungsmäßig geschummelt. ich habe auf Twitter mitgelesen, wieviele Familien keine Wahl haben, als auf die Hilfe der Großeltern zurückzugreifen und habe mich dann überwunden, deren Hilfe anzunehmen, weil ich beide Hände dafür ins Feuer legen konnte, dass meine Kinder aufgrund unseres Quarantäne-Verhaltens nicht ansteckend sind. meine Eltern sind im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und meine Mutter selbst medizinisches Fachpersonal in Rente. und doch…Bam – Scham.

zurück zu den Kindern: einer ist während der beiden Einsätze regelmäßig in Wut explodiert und der andere wurde ganz still. beide Kinder haben ein völlig anderes Verhalten gezeigt als in der Zeit davor. und das, obwohl wir echt einiges aushalten mussten, um diese Umstellung hinzukriegen. ich habe 4 Tage zuhause gebraucht, um die zwei wieder zu beruhigen und wieder ein normales Familiengefühl zu entwickeln. 4 Tage. dann ging es meinen Kindern gut und ich war komplett am Arsch. Bam – Scham.

ich habe um Hilfe gebeten. Telefonseelsorge, Hausärztin, Arbeitgeber. zurück kam unisono: das geht gerade allen so. aha. komischerweise kann ich das nicht glauben, wenn die kinderlosen Kolleginnen, davon berichten, dass ihnen die Langeweile zusetzt und sie sich auf eine Stunde Spaziergang die Woche freuen. eine Stunde Spaziergang mit meinem Klienten fände ich auch toll. was würde ich mich darauf freuen (naja, er würde nicht mitmachen, aber der Gedanke ist schön).

stattdessen gehe ich montags in zwei Slots in die Schule und hole Unterrichtsmaterialien.
dann richte zuhause den Klassenchat ein und bespreche mit dem Kleinen, in welcher Reihenfolge Anton und Arbeitsblätter zu erledigen sind.
dann checke ich die Schulmails nach Terminen, drucke eine Einverständniserklärung für einen Zoom-Kurs aus und renne ins Kinderzimmer, wenn der Laptop hängt.
dann telefoniere ich mit der Kollegin im Dienst um Informationen vom Wochenende weiterzugeben und eine Telefonkonferenz vorzubereiten.
die Mail einer Therapeutin fordert eine Anpassung und ich telefoniere mit ihr. dabei winke ich meine Kinder 3-4 Mal ab, die Fragen zu Mathe haben.
der Kleine beginnt mit Anton und ich helfe dem Großen, das verschwundene Arbeitsblatt wieder zu finden.
ein Frühstückssnack für zwischendurch.
ich ergänze die Einkaufsliste.
dann sind beide Kinder fertig und fordern Zeit zum Zocken…prima, aber nicht zu lange, weil ich später die Konsole als Babysitter während der Telefonkonferenz brauche (also: der Wut mit Geduld begegnen).
Mittagessen kochen (und mit der Kritik leben).
nach dem Essen beginnt direkt die Telefonkonferenz und die Jungs verkrümeln sich. 60min extreme Konzentration, weil die die Leitung immer wieder fürchterlich knackt und knarzt.
dann Dokumentation und kurze Notiz, welche Info für wen relevant ist, um diese weiterzugeben.
die Kinder sollen aufhören zu zocken und haben keine Lust aufzuhören und ich werde bissig.
beide Jungs werden sauer und verziehen sich.
ich mache mir einen Kaffee und mir fällt siedend heiß ein, wen ich vergessen habe und korrigiere den Fehler. der Kaffee wird kalt und das erste Kind sucht Nähe. Kuscheln. Reden…können wir ein Spiel spielen, Mama?
es ist 15:30…na klar, Schatz…ich hab ja nur gearbeitet bisher.
Wutausbruch, als das Spiel einen ungewünschten Verlauf nimmt. Wutausbruch des anderen, weil er was anderes spielen wollte und wir jetzt das spielen. und wieder kleben zwei kleine Briefmarken an mir, als deren Luft gereinigt ist.
hat jemand Hunger? ein wenig? nur Schokolade? nee, was richtiges…na klar mache ich euch Überraschungsbrote.

…bis zum Abend ist es noch ein Stück aber der Tag ist vorbei.

und dann kommt der Dienstag, in dem ich um 7:45 das Haus verlasse und um 13:30 zurückkomme und den Nachmittag über auffangen muss (inklusive Zoom Musik-Kurs). Mittwoch ebenso (inklusive Video-Teamsitzung von 14-16 Uhr) und dann Donnerstag und Freitag wie Montag und am Samstag ist Putztag und die Sonntage vergehen in sowas wie Lethargie.

und ich weiß, dass solche dichten Tagesabläufe gerade Alltag für fast alle Eltern sind. also, die mit Kindern, die Selbständigkeit gerade üben. auf Twitter kokettieren alleinstehende Accounts mit Aufstehzeiten am Mittag und mit komischen Essensgewohnheiten. und ich fühle mich so unter Druck wie ein Dampfkessel. ich habe jetzt knapp zwei Wochen Zeit bekommen, eine Lösung für meine Kinderbetreuung zu entwickeln (4 Tage Sonder-Urlaub für die Pflege Angehöriger). ich darf versuchen, zusätzlich zu allem anderen meinen Kindern die Zuversicht zu geben, dass ich wiederkomme und sie sich nicht sorgen müssen. in einer Zeit, in der wir mit Masken das Haus verlassen und nicht mal Kindergeburtstag feiern dürfen. witziger Auftrag eigentlich. so wie: schreibe Artikel 1 der Menschenrechte mit einem Bleistift und dem linken Fuß auf ein Blatt Papier das an einem Tisch klebt, der mit den Beinen nach oben über Dir liegt. es könnte klappen, wird aber eher eine akrobatische Übung als ein Tanz. (kudos to The Forsythe Company).

dennoch: ich traue uns da zu. ich atme durch.

und dann lese ich, dass ab dem 18.5. auch die 6.-Klässler*innen (mein Klient) wieder in die Schule gehen und ab dem 2.6. die restlichen Grundschüler*innen (meine Kinder) und das alles aber natürlich nicht wie bisher sondern sehr begrenzt und mir wird so schlecht, dass ich nur noch heule…

wie soll ich in spezifischen Slots ein Kind begleiten und meinen Kindern den Besuch der Schule und meine Nähe ermöglichen, damit sie weiterlernen können? wie?

was kann ich tun, wenn ich weiß, dass ich das nicht schaffe? ich habe gerade gelesen, dass Alleinerziehenden kein ALG I zusteht, wenn sie keine Kinderbetreuung haben. haha. HAHAHA! WIE ZUR HÖLLE SOLL DAS GEHEN?????

ich. bin. am. Arsch.

Minusch

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