nachdem ich gerade von einem Menschen aufgrund dessen Depression abgeschossen wurde, hat es etwas bitteres, mir meine eigene Angst vor Depression vorzuknöpfen. aber als Realistin ist mir klar: Vorsicht ist die Mutter der Handlungsfähigkeit. daher möchte ich hier transparent machen, was meine Befürchtungen sind, was meine Vorannahmen. welche Strukturen habe ich installiert und welche Reißleinen gesponnen.
ich schreibe nur über meine Maßnahmen, weil ich gerade Mühe habe, über mich selbst hinaus zu denken. die Angst vor akuten Schüben ist zu präsent und ich werde diese Angst wohl auch noch eine Weile als Addon dabei haben. aber ich mag den Satz „it’s not a bug, it’s a feature“ und daher hoffe ich, damit etwas größeres zu öffnen. Gedanken anderer zu erreichen und den Weg zum Erhalt der Handlungsfähigkeit breit genug auszutrampeln. denn das ist die Essenz: ich will in der Lage bleiben, mich und meine Kinder zu versorgen. das ist mein Ziel. auf gehts.
zunächst denke ich seit etwa 3 Wochen auf dem Thema Quarantäne herum. es fing an, als ich mitbekam, dass die Tochter einer Bekannten nach Südtirol in Skifreizeit fuhr. niemand hatte wirklich Bedenken. die Klasse fuhr und ich wusste: oha, das Thema ist näher, als ich will. ich fing an, meine Vorräte zu checken. üblicherweise habe ich verschiedene Vorräte auf einem für uns praktischen Niveau: etwa 3kg Pasta, 1kg Reis, 1-2kg Mehl, 1kg Zucker und Backzutaten, 1kg Kartoffeln, 4-6 Dosen Tomaten, 2 Dosen Mais, Hühnernudeltopf, eingemachten Rotkohl (aktuell 5 Gläser), Linsen (unübersichtlich), Couscous und Blugur, Kichererbsen, eingekochte Marmelade (aktuell 5 Gläser). und im TK-Fach liegen Brötchen, Aufbacklaugenstangen, Spinat, Erbsen, Smothieobst, Himbeeren, Blaubeeren, Gemüsebällchen, Brokkoli, Blumenkohl und eingefrorenes Schnittlauch vom Balkon. diese Vorräte halte ich tatsächlich vor. und damit kommen wir als Familie etwa 10 Tage (vorsichtige Schätzung).
ich habe das alles gecheckt und etwas umsortiert. sicherheitshalber habe ich tatsächlich mal wieder Fleisch gekauft, obwohl wir uns mehr und mehr vervegetarisieren. mein Gefühl sagte einfach: sicherheitshalber. das alles lief, bevor die Klopapierpanik losging, denn: wenn es brennt, arbeitet der Kopf nicht mehr so besonders gut. dafür muss dann einfach Routine da sein.
und ich bin froh drum! als ich Freitag meinen letzten großen Einkauf gemacht habe, war mein Kopf schon dicht. um mich herum vollgetürmte Einkaufswagen und so viele Möglichkeiten, noch etwas hier oder da einfacher zu machen. well. ich hab das Geld nicht verschwendet. wir werden das alles sicherlich aufessen…es war nur schon ein eher unüberlegter Kohlenhydrate-lastiger Einkauf. ich war froh, dass ich da loslassen konnte. dass meine Routine schon steht.
bis zu diesem Einkauf liefen in mir parallel Pläne an, was das Schwierigste sein wird, mit dem wir als Familie konfrontiert sein könnten: Lagerkoller.
wir drei sind gut darin, Zeit in der Wohnung zu verbringen. vielleicht besser als einige unserer Freunde, die einen größeren Bewegungsbedarf haben. aber wir drei können uns schlimm auf den Keks gehen. und wenn es so ist, dass wir von jetzt auf gleich zusammenkleben (ich kenne das von anderen Infektionswellen), sinkt die Moral. aber Hallo. daher habe ich mit den Jungs am Samstag drei Listen geschrieben. für jeden eine. wir haben alle drei erst überlegt, was uns an normalen Wochentagen wichtig ist. also: was machst Du so den ganzen Tag und was davon ist wichtig, damit es Dir gut geht?
entstanden sind drei individuelle Übersichten von Wohlfühlfaktoren, die wir jetzt jeden Tag aufs Neue abhaken und ernst nehmen. drei Roboter rennen über den Tag zu ihren Listen-Tafeln und machen Häkchen, wenn sie etwas getan haben, was zu ihrem eigenen Wohlfühlprogramm gehört. und abends schauen wir vor dem ins Bett gehen drauf und stellen fest: fast alles abgehakt? dann war es ein guter Tag.
also noch etwas, worüber wir nicht aktiv nachdenken müssen. die Listen sind erweiterbar bei Bedarf und sie helfen uns abends zu sehen, dass wir nicht zu kurz kamen. oder eben zu erkennen, dass es einen Grund hat, warum wir grummelig sind. puh.
nächste Stütze: ein Stundenplan für die Vormittage. wenn wir plötzlich Zeit haben, kann die Zeit sehr schnell verwässern und wir vergessen dies und das, putzen die Zähne erst nach dem Mittagessen und wundern uns abends wo der Schlafanzug ist: huch? den hab ich ja an!? ich habe uns einen Stundenplan geschrieben, der eine feste Zeit fürs Frühstück vorsieht und den Vormittag strukturiert. es gibt eine Phase für Schularbeiten, eine für Lernen mit mir zusammen und zwei Pausen. Mittagessen landet etwa 12:30.
mit diesem Plan, können die Jungs auch arbeiten, wenn ich (so wie heute) versuche, eine Hotline anzurufen. ja, der Plan bindet mich aktiv ein, aber das finde ich ziemlich gut, denn so bin auch ich gezwungen, mitzumachen. wir alle drei sind angezogen und gewaschen und gekämmt und gehen aufrecht durch den Tag. wir könnten überall rumliegen und gähnen und sagen: ach, mach ich morgen… aber genau das würde mehr schaden als nützen, weil wir bereits eine entschleunigte Familie sind im Vergleich zu anderen. aufgrund meiner Vorerkrankung betreibe ich sowieso aktive Stressvermeidung und meine Kinder müssen sich in den Ferien nicht von der Schule erholen. die Ferien bieten Freiraum für Experimente und Abenteuer, für die im Alltag die Zeit zu knapp ist. weil das bei uns so ist, bleibe ich immer in etwa demselben Rhythmus drin, wie eine Uhr. die Schlafrhythmen verschieden sich minimal in den Ferien, aber auch das lasse ich gerade nicht zu. wir bleiben in unserem Takt.
und Zocken ist beschränkt auf maximal 1h. 😉
weiter im Text: Ernährung. ja, das mit den Vorräten habe ich oben beschrieben. aber auch wann ich was esse, überdenke ich strukturiert. ich habe im Februar festgestellt, wie gut es mir tut, eine lange Essenspause (Intervalfasten) zu haben. das war ein Eyeopener, denn ich war mir nicht im Klaren darüber, dass mich Essen nicht nur pusht sondern auch runterzieht. es geht mir gar nicht um Gewichtsreduktion. es geht mir um ein Körpergefühl. als ich letztes Wochenende für die Woche geplant habe, den Korb verarbeitet habe und mit Freundinnen gesprochen, habe ich meinen Ernährungsplan aus den Augen verloren und musste feststellen: das macht eine Menge aus! daher nehme ich das hier an dieser Stelle aktiv auf: mir tut gut, eine lange Essenspause zu haben, viel Gemüse und Obst zu mir zu nehmen und eher mildes Essen zu festen Zeiten. das halte ich fest. Kochen steht ohnehin auf meinem Wohlfühlplan als wichtiger Faktor mit drauf.
und dann die Angst vor dem worst case. ich habe mich im Vorfeld mit 4 Familien verbunden. aktiv geblieben ist gerade eine. und das ist gut. solange wir einander unterstützen können, tun wir das. weitere Familien sind in Reichweite und es gibt auch in dieser Stadt Einkaufsunterstützungshilfen. meine Eltern sind aus ihrem Urlaub zurück und würden uns auch Einkäufe vor die Tür stellen. und sollten wir durch sein mit was-weiß-denn-ich, werden wir helfen. so viel ist klar. ich habe eine Übersicht über alle wichtigen Nummern meiner Stadt. ich habe Kontakte. in meinem Haus leben 8 Parteien. wir haben ein Sicherheitsnetz.
und seit gestern checke ich Medien nur noch sehr dosiert. twitter brauche ich für Katzenvideos und lustiges Memes und für Kontakt zu anderen Menschen, denen ich nun schon eine Weile beim Leben zuschaue. dort kann ich schnell Gefühle ausdrücken und Antworten bekommen. Artikel klicke ich nur noch an, wenn sie von vertrauenswürdigen Quellen empfohlen werden. als Podcast höre ich nur noch den einen mit Christian Drosten beim NDR. ansonsten kein Radio, Fernsehen sowieso nicht. WhatsApp ist bei mir auch sehr still. wir igeln uns alle ein, um nicht medienmäßig durchzuknallen. die letzte Woche war mir eine Lehre. ich verlasse mich darauf, dass ich wichtige Informationen bekomme, wenn ich sie brauche. aber ich muss nichts vor allen anderen wissen.
was meinen Job angeht, werde ich wohl Geduld haben, bis klar ist, wie die Leitungen reagieren und welche Gelder die Bundesregierung frei gibt. ich werde mein Gehalt weiter beziehen, aber was das für meinen Dienstplan bedeutet, weiß ich an dieser Stelle noch nicht. das ist nicht ganz einfach auszuhalten. aber so ist es eben.
wenn es nicht mehr geht, dann ist das so. an dem Punkt war ich schon. dann setze ich mich hin und mache die Augen zu. das ist ok. ich habe kein Fitnessziel. ich will nicht meine Wohnung aufräumen (vielleicht putze ich die Fenster mal). ich will nicht irgendwas tun, zu dem ich sonst nie komme. ich will nicht die Welt retten oder einen Orden für Engagement bekommen. ich will stabil bleiben. nur stabil bleiben.
Liefs,
Minusch
…und seit gestern checke ich Medien nur noch sehr dosiert. …
So wahr. m2c: Der Konsum von Nachrichten aus vielen Quellen machte mich zuletzt ganz kirre, ohne es zu wollen erwischte mich eine ungewisse Panik. Kaum bemerkt auch direkt die Leine gezogen und den MedienKonsum radikal ausgedünnt. FAZ und Zeit gegen mir letztendlich völlig. Twitter ist seit vorgestern zu und wird auch erst wieder in 4-6 Wochen eingesehen, wenn überhaupt. Facebook will ich jetzt erst recht nicht mehr reinschauen, allein der Gedanke gruselt mich.
Wie Du strukturiert sind wir nicht, müssen wir auch in einem bestimmten Punkt nicht mehr, denn die Tochter ist schon ausgezogen. Und doch hängt unser Kopf bei ihr, sie hat/te in jungen Jahren einen schlimmen Herzfehler. …. Nicht runter ziehen lassen, positiv bleiben so gut es geht. Bleibt gesund und passt auf euch auf.
wir tun alle unser Bestes. ich denke aber, dass auch Abgründe Teil der Realität sind und sein müssen. pass gut auf Dich auf! ❤