Liebeserklärung

Liebe. ein Wort, dass mehr Missverständnisse generiert als Menstruation (hihi…Anspielung). Liebe. wir drucken es überall drauf, schreiben es überall hin. sie ist in der Luft, sie soll zärtlich sein, sie wird von mir auf andere gerichtet und die anderen sollen sie doch bitte auf mich richten. für die einen funktioniert sie nur über Sexualität. für andere beginnt sie mit dem ersten Atemzug. manchmal auf den ersten Blick. manchmal aus Freundschaft. ach was weiß denn ich.

ich definiere schon mein ganzes Leben lang Liebe als den Wunsch, dem anderen möge es gut gehen. ich liebte unseren alten Hund. ich liebe den Wald. das Meer. ich liebe ganz vorsichtig andere Menschen…Holla, dazu gehört echt Mut. ich habe erstmal mit Kevin Costner als Robin Hood geübt. kurz zuvor waren zwei erste Freundschaften verkümmert, weil wir zusammen die Schule gewechselt haben und in der neuen Klasse andere Mädchen waren, die besser zu ihnen passten. vermute ich. wissen werde ich es nie. ich nehme an, aus ihrer Perspektive habe ich aufgehört zu passen. das Ergebnis war nunmal der Verlust meiner beiden ersten besten Freundinnen.

Robin Hood war da verlässlicher. dadurch dass er nie da war, konnte er mich nie verlassen. win:win.

von Robin Hood aus dümpelte ich weiter. in der „Mädchen“ stand drin, dass wir nicht zu sehr von irgendwelchen unerreichbaren Idolen träumen sollten. nagut. nur: von wem denn sonst? nicht vieles ist so vergänglich wie Teenager-Nähe (wenn ihr mich fragt: jedes Grundschulkind liebt loyaler).

in der Oberstufe war da F. der schönste Junge der Klasse. F. musste irgendwann neben mir sitzen, weil er sonst zu unruhig war. ich saß ganz hinten am Fenster. ein wirklich toller Platz. ich konnte immer rausschauen und nach Vögeln suchen. dann schrieb mir F. Briefchen und ich war verwundert, dass er meinen Namen überhaupt kennt. ob wir knutschen wollen. häh? na, vielleicht will er üben…weiter kam mein Herz nicht. ich war nich halb so schön wie er. wir knutschten tatsächlich zwei Mal. und bei der Klassenfahrt versenkten wir gemeinsam mein Surfbrett im Starnberger See. also ich blieb auf dem See irgendwie liegen, er kam hergerudert und beim abschleppen soff das Surfbrett ab. abends beim abhängen saß er aber immer zwischen den Mädels der Nachbarklasse. ich weiß bis heute nicht, was das alles war. aber ich war froh, mich nicht weiter für irgendwas geöffnet zu haben.

dann G. Holla. in den war ich verliebt wie in Robin Hood. er sang Baß, ich Alt. wir saßen nachts mit Freunden auf einem Garagendach an der Burgruine und aßen Pizza. Liebe. ich musste nichts gestehen und er hat mir sicherlich nie tief in die Augen gesehen. wir waren kein Paar. aber ich habe ihn geliebt. und er hat mir gut getan. bis er das Abi zwei Jahre vor mir machte. und fort ging.

und im Studium die erste wirklich lange Beziehung zu R., der dann mein bester Freund wurde. R., mein Seelenfreund. in derselben Zeit kam S., den ich vor einem Björk-Konzert-Plakat kennenlernte. S. und ich starrten auf das Plakat. es regnete. auf dem Plakat stand, dass das Konzert verschoben würde. wir waren fassungslos. R. und S., zwei Menschen die mir das Gefühl gegeben haben, dass ich groß genug bin für die Welt. groß genug, um klein zu bleiben. wir spielten, sahen Filme im Originalton, kochten, feierten unfassbar witzige Parties, hörten Musik…noch während der Beziehung zu R. verabschiedete sich S. von mir, weil ich mit R. seiner Ansicht nach nicht gut umging. es gab kein Gespräch, keine Konfrontation. er wollte nichts mehr mit mir zu tun haben.
R. blieb. zumindest bis er sich erfolgreich verliebte und die Frau darauf bestand, dass ich nicht Teil seines Lebens sein könnte, wenn er mit ihr zusammensein wollte. er besuchte mich noch zwei Mal heimlich…dann blieb er fort und antwortete auch nicht mehr.

ich liebte auch C. meine allerbeste Freundin. wir waren zusammen so unfassbar lustig. wir kannten unsere Absturzgeschichten und wandelten todesmutig miteinander im Tiefseegraben unserer Ängste. für sie hätte ich alles aufgegeben außer ein eigenes Zimmer: weil sie so laut geschnarcht hat, konnte ich nie in einem Raum mit ihr schlafen. ich hätte gern in ihrer direkten Nähe gelebt so wie andere das konnten. und der Tag, an dem sie mir die Freundschaft per Mail kündigte, erinnert sich wie ein Blick in einen Brunnenschacht, dessen Boden auf mich zu rast. scheiße hab ich sie geliebt. ich war mir sicher gewesen, dass sie für immer erreichbar bleibt. heute kann ich zwar ihren Namen googeln und sehen, dass sie noch lebt…aber ich kann sie nicht fragen, welche Farbe ihr Esszimmer heute hat. ob das Sofa noch da ist. was aus dem Feuerwehrmann wurde. sie hat meine Kinder nie kennengelernt. dabei wäre sie die einzig denkbare Patentante gewesen. meine Kinder sind nicht getauft.

J. hatte keine wirkliche Chance in meinem Leben. dabei tut er Menschen unfassbar gut mit seiner Energie und der atemberaubenden Geschwindigkeit, in der er denkt. ja, J., es tut mir leid. das Timing war das härteste meines Lebens. Du warst in einer Zeit nah, als ich mich noch verstecken musste und nicht mein Bedürfnis nach Stille überein bringen konnte mit meinem Bedürfnis nach Nähe und gehalten sein. ja, da ist noch Liebe. da sind auch manchmal Tränen. aber ich weiß, dass es Dir gut geht, denn Du antwortest, wenn ich Dir schreibe.

eine schlimme Kerbe im Herzen habe ich von F., dem Menschen, mit dem ich am glücklichsten zusammengelebt habe. es war eine Beziehung von außen. von ihnen war es wohlige Wärme mit einseitigem Familienwunsch und einseitiger Sexabstinenz. wir schrieben uns Briefchen, unterstützten einander, zeigten uns unsere Welten. ich kannte seine Geschichte, tupfte seine Tränen fort und er streichelte mit den Rücken, damit ich einschlafen konnte. er wollte keine Kinder. ich wünschte mir so sehr den neuen Versuch, um das verstorbene Kind noch einmal in mir erwärmen zu können. als klar war, dass er wirklich nicht will, verkümmerte etwas in mir und ich wollte fort…ich weiß, dass F. heute Vater eines Kindes ist. mit einer anderen Frau. und darin liegt ein grauenhafter Schmerz. ich weiß, dass er etwas anderes sieht, wenn er zurückschaut. dieses Wissen ist verletzend. er war meine Hoffnung, dass das möglich ist, wovon ich seit Robin Hood geträumt habe: eine warme, nährende Liebe in Balance. und nun ist auch meine Erinnerung vergiftet, weil ich nicht mehr sicher sein kann, dass das, was ich erinnere, tatsächlich wahr war.

ich habe damals F. für den Mann verlassen, der der Vater meiner Kinder wurde. von dem ich gelernt habe, dass mich wirklich niemand in diesem Leben schützt. dass Regeln nicht gelten, wenn niemand zuschaut. durch den ich weiß, wie hilflos ich als Mutter zweier kleiner Kinder bin. nein, ich finde nichts in meinem Herzen, was mich zu diesem Menschen bringen könnte. unsere Verbindung sind seine Gene in meinen beiden Kindern und sein Unterhalt für beide auf meinem Konto. ansonsten ist da sowas wie ein ausgebranntes Foto auf der Netzhaut. die Liebe zu den Kindern hat mich dort für 5 Jahre gehalten. ich habe mein Bestes gegeben und nicht gespürt, dass das, was ich gab, buchstäblich fortgerissen wurde. mein Bestes. meine Fähigkeit zu hoffen und zu vertrauen. fort.

nach der Trennung gab es D., der mich half, als ich Angst hatte. der einmal eine ganze Nacht auf meinem Sofa saß, weil ich Angst hatte. den ich um Hilfe bitten konnte, als der Mann Sachen abholen wollte. D. war da. D. war Musik. wir unterhielten uns in Musikzitaten. problemlos. und egal was, es löste sich in gemeinsamem Lachen auf. ich wollte ihn nicht festhalten aber auch nicht wieder verlieren. ich wollte frei bleiben und genießen, dass es diesen Menschen gibt, der schützt und lacht. aber seine Frau brauchte ihn ganz für das gemeinsame Zuhause, dass er ja gar nicht verlassen wollte. es gibt sehr viele Menschen, die sie darin verstehen. und es gibt mich, die bis heute nicht damit zurecht kommt, so viele Menschen nicht mehr sprechen zu können, obwohl sie noch leben.

ich wusste schon immer, dass es nicht unendlich viele Menschen gibt, denen ich mich nah fühlen kann. ich brauche einen gemeinsamen Nährboden dafür. eine Petrischale mit gemeinsamen Glücksfaktoren, Zeit, Licht und Musik. wo andere Menschen mehrere Gruppen haben, in denen sie sich bewegen, habe ich eher ein paar Menschen, die ich regelmäßig sehen mag. manche von diesen Menschen wachsen langsam an mich an, so dass ich ahne, ein Verlust wäre nicht gut. behutsam. ich halte sie alle nicht fest. es soll ihnen gut gehen. und wenn es ihnen ohne mich gut geht, dann kann ich das aushalten. ich kann es nur nicht mehr so gut wie noch vor 20 Jahren aushalten. ich liebe alle Vergangenen, bis auf den einen, noch immer. ich wünsche ihnen noch immer Glück und Lachen und Musik. ich wünsche ihnen Licht und Knospen und unendliches Vertrauen in die Menschen, die sie lieben. ja, ich wäre gern in eurem Scheinwerferlicht geblieben. ich wäre gern die, die ihr an Silvester besucht, ganz natürlich, weil es immer so war. aber ich kann aushalten, dass ihr mich nicht mehr anseht.

denn

ich liebe auch mich. und ich kümmere mich um mich und sorge dafür, dass es mir gut geht. ich schütze mich. und ich kraule mir selbst den Kopf, wenn mir das mal fehlt. ich erlebe Sonnenschein. ich höre wunderbare Musik. ich koche so gut wie noch nie zuvor. und ich spüre das Leben in meinem Körper voíbrieren. manchmal kann ich das teilen mit Menschen, die ganz vorsichtig durch die Tür schauen und fragen, ob sie kurz reinkommen dürfen. meistens habe ich mein Glück für mich alleine. aber tatsächlich habe ich hier immer zwei Menschen um mich, die mit mir teilen wollen, was mich glücklich macht. die mit mir teilen, was sie glücklich macht. und wir drei sorgen jede*r auf die eigene Art für einander.

ja, das ist Liebe für mich. Liebe ist der unbedingte Wunsch, es möge der/dem anderen gut gehen. nichts anderes. nicht Sex. nicht Händchen halten. nicht Geschenke. nicht gemeinsamer Urlaub. nicht Ehe. nicht zusammen leben. nicht gemeinsam Sorgen tragen. oder einander ins Bett bringen. so erkläre ich Liebe. meine Liebeserklärung.

Liefs,

Minusch

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