was Du tun kannst

gestern war der weltweite Tag gegen Gewalt gegen Frauen. gestern war ein Tag der Erinnerung für sehr viele Frauen, die das schon erlebt haben und ein Tag der Angst für akut Betroffene. auch ein Tag der Ignoranz für alle die, die ihre eigene Gewalttätigkeit unter dem Gefühl selbst Opfer zu sein verstecken. und ein Tag der Überheblichkeit bei denen, die zwar Angst vor dem Partner kennen aber nach wie vor meinen, dass das ja nur andere trifft. schlechtere Frauen. die, die es eben nicht gut machen, das mit dem Frau-sein oder Mutter-sein oder Tochter-sein.

ich kenne Angst vor Gewalt schon von klein auf. damit einher geht das Wissen, generell nicht gut genug sein zu können. nicht gut genug für Schutz. in den Märchen werden Mädchen/Frauen auch nur geschützt, wenn sie uneingeschränkt gut sind. also, wenn sie ihre Rolle perfekt erfüllen und ihre einzige Persönlichkeitsmerkmale Hingabe, Bescheidenheit und Tierliebe sind. am besten in Verbindung mit handwerklichem Geschick. ich habe das sehr ernst genommen als Mädchen. ebenso die Bibel, die dasselbe betont: Frauen dienen gern irgendwem, kümmern sich um alles Leben und bewahren es und sind loyal und verlässlich und immer irgendwann Mütter und/oder tot.

in der Schule wurde auch genau das geschätzt: Hingabe zum Fach, Verlässlichkeit, Zurückhaltung bei gleichzeitigem Engagement, Ausgeglichenheit.

ist doch alles ganz einfach, oder?

die Literatur ist voller gemäßigter Frauengestalten, die lieber auf die Liebe verzichten als moralisch verwerflich zu handeln. Frauen, die sich in die falschen verlieben und deswegen eben sterben. Frauen, die zu besitzergreifend agieren und deswegen sterben. Frauen, die sich ein einziges Mal nicht an die Regeln halten, und deswegen sterben.

Literatur macht frei, nicht wahr? so irre frei…Frauen als Trophäen, als Zuhause, als Sexobjekt, als Hintergrundrauschen. Freiheit? na, wenn Du meinst.

ich merke, was mir in meiner Gewalterfahrung geholfen hätte, ist das, was mir heute die Tränen in die Augen treibt. Akzeptanz. Akzeptanz meiner eigenen Geschichte und meiner eigenen Perspektive. unabhängig von Watzlawick und Schulz von Thun und der urban legend „zu einem Streit gehören immer zwei“ wäre ich gern gesehen worden. werde ich noch heute gern gesehen. in der Paarberatung wurden Kompromisse erarbeitet auf der Grundlage häuslicher Gewalt. weil wir zwei sind, die einen Streit haben und Stress und zu viel zu tragen und emotionales Gewicht. also war es nur logisch, Kompromisse zu erarbeiten. wenn für ihn die Hausarbeit zu viel ist, dann muss entweder insgesamt weniger gemacht werden oder ich muss eben mit der Diskrepanz leben. als hätte es jemals einen Austausch auf Augenhöhe gegeben. wenn er gelogen hat, muss die Angst vor mir so groß gewesen sein, dass ich mir meines Anteils bewusst zu sein habe. verdammt, das klingt so logisch. oder nicht? wenn er unter den Vorwürfen leidet, müssen diese Vorwürfe irgendwann auch mal ruhen dürfen. ewiges Gemecker macht doch niemanden glücklich, nicht wahr? ist auch nicht sexy *zwinkerzweinker*.

in der Mediation fand die dortige Beraterin nicht die Kraft, auf den Tisch zu hauen, weil sie ja eine Beziehung aufbauen wollte. eine vertrauensvolle Beziehung ist ja Grundlage der Arbeit miteinander. da kann nicht einfach Flagge gehisst werden. da geht es um einen Weg. isso.

übrigens: aus der Gruppe für gewalttätige Männer wurde an mich adressiert, dass ich ihm zu wenig Raum lasse. ich solle mal gelassener mit seinen Defiziten umgehen. er könne ja kaum atmen.

so entsteht ein Bild. ein Bild, das mit der Realität eigentlich nur zu tun hat, dass es sich wie eine Schablone darüber legen lässt. ich bin keinesfalls fehlerlos. aber in all den Geschichten fehlt der Täter. in all den Geschichten bin ich selber schuld daran, dass mit mir so umgegangen wurde. Rechtfertigungen für aggressives und gewalttätiges Verhalten anderer, als wäre es völlig überzogen zu erwarten, dass Menschen einander nicht verletzen. als wären meine Ansprüche zu hoch. als wäre ich zu bedauern in meinem Verhaltensrepertoire.

ich hatte während der Beziehung bei der Polizei nachgefragt, was ich tun kann, wenn ich mich zuhause bedroht fühle. ich habe beim Jugendamt gefragt. ich habe bei der Lebensberatung gefragt. und bei der Frauenberatungsstelle. alle waren sich einig: solange ich nicht Anzeige erstattet habe und solange die Gewalt medizinisch unsichtbar bleibt, geschieht nichts. „wir können nichts tun“. „es steht Aussage gegen Aussage“. kommt das jemandem bekannt vor? als ich konkrete beratende Unterstützung beim Jugendamt wollte, war die Antwort: „also wenn wir uns einschalten, wird es meist richtig unangenehm, weil der Partner sich dann – zu recht – angegriffen fühlt.“ und es stimmt! ich habe mich alleine beraten lassen und dann meinem Partner die Karte unseres Ansprechpartners dort gegeben, damit er das auch tun kann (die Ansprechpartner sind ja für die ganze Familie zuständig). die Karte wurde vor meinen Augen zerrissen, ich wurde angebrüllt. ja, der Mann vom Jugendamt hatte doch tatsächlich Recht. bringt gar nichts…

inzwischen habe ich wirklich sehr viele Informationsbroschüren zu dem Thema angeschaut. ich reagiere auf diese Schlüsselbegriffe und schaue genau hin. überall werden Ansprechpartner*innen genannt. aber sobald ich mich dort gemeldet habe, waren die überfordert. selbst das Frauenhilfstelefon, das genau DAS auf der Agenda hat, hat mich nicht beraten sondern zu allererst nach meinem Anteil an den Konflikten gefragt und warum ich nicht im Frauenhaus sei, wenn es so schlimm sei, und warum ich ihn nicht angezeigt hätte.

DAS macht stumm. DAS gibt Frauen das Gefühl, keine Lösung zu finde. DAS hindert Frauen daran, gewalttätige Männer zu verlassen.

wir brauchen neue Bilder von Frauen! wir müssen diese Ideen von der „irren Ex“, der „gluckenden Mutter“, der „gierigen Bitch“, der „frigiden Kuh“ usw. usw. loswerden! wir müssen sie loswerden! diese Bilder reproduzieren Kopien in der Realität und weil wir meinen, sie schon zu kennen – wir haben sie schließlich oft genug gehört – stecken wir immer wieder Frauen in Sortierkästchen, die ihnen die Menschlichkeit aberkennen.

ja, es gibt natürlich Konflikte zwischen Menschen, die mit gängigen Kommunikationsmodellen und vielleicht sogar mit gewaltfreier Kommunikation gelöst werden können. aber es gibt dahinter einen gebrochenen gesellschaftlichen Vertrag, nach dem Frauen dieselben Rechte zugesichert wurden wie Männern! es gibt eine Geschichte der Frauenentwertung, die hinzugezogen wird, wenn wir über Partnerschaftskonflikte sprechen! es gibt Mütter, die über ihre Töchter schlecht reden und Freundinnen, die voneinander denken, dass die andere „es“ herausfordert. es gibt Kolleginnen, die erleichtert sind, wenn andere so schlecht behandelt werden wie sie selbst behandelt worden sind. und in unserem Alltag ziehen Jungs Mädchen ja immer noch an den Haaren, WEIL SIE SIE MÖGEN.

reflektiert Eure Sprache, Eure Denkmuster und Eure Bilder von Weiblichkeit. haltet beim lästern mal kurz inne und überlegt, ob ihr so über jemanden sprechen würden, den ihr mögt. ob ihr das der Person ins Gesicht sagen könntet. wenn jemand von Gewalt berichtet, bleibt nicht handlungsfähig (!) sondern teilt den Schock, wenn euch die Person nahe steht. löst die Distanz kurz auf und heult mit! begleitet diese Menschen.

…lasst sie nicht allein. allein zu sein und zu „wissen“, dass die Schuld dafür bei einem selbst liegen muss, weil das so viele sagen, das ist die Hölle.

Liefs,
Minusch

4 Antworten auf „was Du tun kannst

  1. Ah ja! Wenn man ein Problem mit dem oder eine Frage an den Partner hat, fragt man am besten bei Polizei, Jugendamt, Lebensberatung und Frauenberatungsstelle! – Auch eine Logik! 😉
    Und sicher enorm vertrauensbildend für den Partner.

    1. Guten Abend.
      Dein buddhistischer Hintergrund müsste Dir doch eigentlich verbieten, Menschen derart kurzsichtig zu beurteilen, oder etwa nicht? aber wozu frage ich: wenn die Natur/Schöpfung/Evolution kein Unglück für uns vorgesehen hat, dann existieren die ganzen verletzten/unterdrückten/entwerteten Frauen gar nicht. ich also auch nicht. wozu genau hast Du geantwortet?

      (an alle Mitlesenden: checkt das Narrativ hinter Payolis Kommentar! das ist ein ganz wunderbarer Sexismus, der im Alltag kaum auffällt, weil seine Abkürzung einfach so herrlich geläufig ist ;-))

      mögest Du Deine Dir selbst verursachten Probleme nie zu Problemen anderer machen, Payoli!

    2. Der Partner hat Gewalt ausgeübt.
      Da erübrigen sich alle vertrauensbildenden Maßnahmen. Er ist der Täter, Punkt. Vertrauen hat er verspielt.

      1. btw.: es gibt Studien dazu, wie lange Frauen brauchen, bis sie sich bei partnerschaftlicher Gewalt Hilfe suchen. das dauert richtig lange…davor wird eine Menge anderes ausprobiert, um eben nicht anzeigen zu müssen.

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