es ist Sonntagnachmittag. nach einem Wirbel von Gefühlen über den Besuch des Vaters und wie dieser Besuch sich emotional hier einbettet herrscht hier eine partielle Ordnung um mich. mir ist klar, was noch zu tun ist. bis wann es zu tun ist. ich weiß, was die Dinge sind, die ich tun will und die ich tun sollte. nicht immer ist das, was mir gut tun würde, das was ich will. ich weiß. und dann setzen sich einzelne Stücke aus den Realitäten anderer zusammen. Stichpunkte wie Glück, Freiheit, Sicherheit. und wie viel damit versprochen werden kann wieviel damit begründet wird. und wieviel aufgrund dieser Worte geglaubt.
erwachsen zu sein, heißt auch, Entzauberung zu ertragen, nicht wahr? die Eltern wissen nicht alles und sind sterblich. Geschwister können sich zu Menschen entwickeln, mit denen Du nicht mehr an einem Tisch sitzen möchtest. Partner*innen können das Wort brechen. und danach liegt vor uns sowas wie ein Schlachtfeld. sobald der Glück-Freiheit-Sicherheit-Zauber nicht mehr wirkt, erscheint die Welt mit einem Mal weniger schön und begehrenswert. regelrecht bedrückend. uneinladend. bis…ein anderer den Zauber für Dich spricht oder sogar Du selbst die Formel murmelst um einen anderen Menschen in einen Traum einzuladen. dann wirkt es wieder. in so vielen Farben wie vorstellbar sind. mit ewigem Sommer in der Lebensmitte und mildem Licht im Alter.
wie in den vielen Geschichten anderer, erdacht von anderen. Filme, Lieder, Bücher, Gedichte…es gibt unendlich viele Zaubersprüche und für jeden von uns gibt es mehr als einen Zugang zu diesen eigenartigen Welt voller ureigener Schönheit. es ist nur: wenn Du weißt, wie Du hin kommst, dann weißt Du auch, dass es enden wird. und es wird enden in dem ein anderer Mensch den Zauber bricht. in dem Du es tust, weil Du den Riss im Bild bemerkst und einfach nicht darüber hinwegsehen kannst. weil Du es schonmal getan hast. durch Tod.
das Beenden ist ein Vorgang, der sich anfühlt wie Trauer. Verlust. Schmerz. sich freiwillig aus dem Zauber zu lösen, wird nicht vom Körper unterstützt. Hoffnung steuert dagegen. die Hoffnung darauf, dass sich Muster nicht wiederholen und einzelne stärker sind als die sie umgebenden Strukturen. genährt aus den vielen Geschichten, in denen Menschen in den Erinnerungen und Träumen anderer genau dies taten. mögen wir es nur einmal erleben, um in dieser Welt für immer bleiben zu können.
es bleibt die Sehnsucht. immer. die Sehnsucht als eine Verbindung zum Guten, manche nennen es „das Göttliche“. Sehnsucht als das, was uns in Versuchung führt. was uns empfänglich macht für Versprechen. was unsere Entscheidungen beeinflusst. uns einen Weg sehen lässt. dabei liegen vor uns keine sichtbaren Wege. wir sehen unsere Wege erst, wenn wir uns umdrehen und nach hinten schauen. keine unserer Entscheidungen ist in ihren Auswirkungen absehbar.
was will ich sagen? worüber denke ich nach? ich erinnere mich an so viele Vorwürfe und Dementi meiner eigenen Wahrheit. an Abscheu gegenüber meinen Gefühlen. an Bewertungen meines Handelns, die ich nicht verstehen konnte. und ich erinnere mich an das, was daraus in mir entstanden ist. an die Konflikte zwischen meiner Überzeugung und dieser neuen Unsicherheit. was, wenn ich wirklich weniger weiß als andere? eine herrliche Petrischale in optimalem Klima um noch mehr Zweifel keimen zu lassen…es sei denn, ich versichere mich meiner selbst und ertrage die Konsequenzen. ich stärke mich selbst, verzichte auf den Teil meiner Sehnsucht, der es mir erlauben würde, klein zu sein, erreiche damit ein Plateau der Stille und habe ab jetzt im Blick, dass diese andere Seite unterversorgt sein wird. dass meine Bereitschaft, eine Bindung einzugehen schwindet im Austausch für Stille. dass sich langsam meine Fähigkeit zu verstehen verändert, dass sich meine Zugänge zu anderen Menschen zurückbilden. dass es weniger Träume und Zauber für mich gibt.
da ist sie. die Trauer. sie ist direkt greifbar. aber ich komme nicht drum herum, denn die Alternative verlangt von mir einen Preis, den ich schon so oft gezahlt habe, ohne das zu bekommen, was mir versprochen wurde. und so mache ich es jetzt anders. ich hätte genau diese Entscheidung schon mit 16 treffen können, wenn ich damals nicht so vieles geglaubt hätte. eventuell wäre ich dann keine Mutter geworden, daher bereue ich meine Schritte nicht.
in einer Stunde sind die Kinder wohl zurück. dann endet dieser Tag wie so viele andere mit Zähneputzen, Küssen und Gute-Nacht-Wünschen. dann ordne ich Wäsche und mit der Wäsche weitere Gedanken und es beginnt eine neue Woche. der Herbst, der Winter, ein neues Jahr. schrittweise verändern sich unsere Körper und Ideen. all das, was war, setzt sich in den Sedimenten ab und bildet die Grundlage für die nächsten Schritte.
ich glaube nicht mehr an Geschichten und Bilder. das bedeutet nicht, dass ich ihre Schönheit nicht erkennen kann. aber ich erkenne auch die Leinwand, das, was übermalt wurde und das, was nur vorgezeichnet am Rand kurz andeutet, wofür die Farbe ausgegangen ist. ich bin zu einer Geschichte geworden. das mag genügen.
Liefs,
Minusch