letzter Tag in Schleswig-Holstein. puh. ich musste schon wieder so schnell so viel verstehen, dass ich zwischendurch zwei Tage lang in einem regelrechten depressiven Tief saß. für mich kam das ganz plötzlich. manche Außenstehende fanden das ja absehbar, aber jeweils in unterschiedlichen Punkten. naja, ich war überrascht. aber ich fang von vorne an, ich hatte nämlich eine ziemlich gute Planung!
dieser Urlaub wurde uns durch meine Eltern ermöglicht, die eine Vorstellung von meiner Erschöpfung als Mutter und auch von der Erschöpfung meiner beiden Kinder haben. sie haben ein Jahr lang etwa einmal die Woche beide Kinder von Schule und Kindergarten abgeholt, damit ich länger arbeiten kann. mein ursprünglicher Plan war ja mal, an diesen Tagen hin und wieder Überstunden abzubauen, aber das haute hinten und vorne nicht hin…naja, sie brachten mir häufig abends die Kinder und ich war gerade erst heimgekommen. ich denke, sie konnten mir durch diese wöchentlichen Stichproben gut beim erschöpfter werden zusehen. daher der Urlaub. ein sehr sehr großzügiges und liebevolles Geschenk. wir wünschten uns an die Nordsee an meinen Lieblingsort und bekamen auch das. 10 Tage St. Peter-Ording und 5 Tage Büsum.
welche Mama hätte das abgelehnt? na? keine! Danke, M., dass Du es als naiv bewertet hast, dass ich den Urlaub mit den Kindern so mache.
wir haben eine Woche lang in Ruhe gepackt, ich hatte Packlisten für die beiden. wir haben uns Richtung Abfahrt hin weniger verabredet. alles prima. unsere Nachbarin gießt unsere Balkonpflanzen. Essen ist entweder aufgegessen oder eintupperbar. am Tag der Abfahrt bin ich früh aufgestanden, hab alles gerichtet und um 8 kamen wir los.
unser Apartment in SPO war ein Traum. Ein Reethäuschen mitten im Dorf, also mit Bäcker und Edeka um die Ecke, mit Biergarten quasi nebenan und der Höhepunkt: zwei andere Familien mit netten Eltern und tollen Kindern im Haus! wir hatten eine wundervolle Woche! ich weiß ja, was ich wo in diesem Städtchen finde. ich kenne den Aldi und weiß wo der Rossmann ist, ich kenne den Busplan, wo ich Gezeitenpläne finde und was die Strandabschnitte unterscheidet. ich kenne die Eintrittspreise für den Westküstenpark, die Therme, den Preis fürs Strandparken, weiß wo das Dünen Hus ist und finde die Hot Spots für Waffeln mit Erdbeeren im Schlaf. Sonne, Regen, Sturm: ich kann bei jedem Wetter in SPO glücklich sein. die Woche verging wie im Flug. die Kinder freundeten sich mit den Schweizer-Jungs von nebenan an. wenn wir alle in den Wohnungen waren, fanden sich die vier zusammen und ottertern durch den Garten oder malten bei uns am Tisch. und als die Schweizer am Samstag abreisten, standen wir mehr oder weniger fassungslos im Garten. der Kleine weinte. der Große zog sich zurück. und ich vermisste die beiden Eltern, mit denen ich augenzwinkernd Kaffee/Bier/Weißwein hatte trinken können. die beide so klug und lustig waren. die uns einen Pinienzapfen und Taralli geschenkt hatten.
das war der break. damit hatte niemand von uns rechnen können. es zog uns runter. mein Notfallplan war dann eben direkt an diesem Abschiedstag den Ausflug ins Wattforum zu machen, worauf wir uns schon seit Monaten gefreut hatten. und auch der Tag war schön, wenn auch irgendwie zäh. ich war plötzlich so müde. ich schlief fast ein auf dieser Liege mit den Wal-Geschichten von links und rechts. und abends bekam ich meine Tage. ok. PMS und Mens an dem Tag des Abschieds von neuen Freunden. Frauen verstehen die Heftigkeit dieses Umstandes, den beschissenen Verstärker darin und die Mattigkeit dadurch.
und dann begannen die Streitereien…
wirklich, es wurde jeden Tag schlimmer. egal was ich vorschlug: einer fand es toll, der andere fand es scheiße. Essen, Ausflüge, Nachfragen nach Wünschen. das einzige, was immer gewünscht war: Fernsehen oder Nintendo spielen. und inzwischen habe ich alle Multi-Media-Devices konfisziert und weggepackt und mag sie nicht mehr rausholen, weil ich selber kaum ertragen kann, dass das als einziges interessant sein kann für meine beiden Kinder. die zwei Kinder, mit denen ich Abenteuer erlebt habe. mit denen ich gekocht und gebacken habe. mit denen ich gebastelt und gemalt habe. und die ich an die Nordsee gefahren habe…sie wollen dasselbe, wie zuhause…einerseits ist das sicher nachvollziehbar. andererseits macht es mich wahnsinnig.
sicher habe ich mit der Entscheidung verschärft, was dann kam. Rebellion. ich wurde plötzlich derartig in Frage gestellt, wie noch nie. und belogen. ich weiß, dass Kinder lügen, aber wenn ich frage, warum im Bad eine Rolle Klopapier abgerollt ist und beide Kinder mich ansehen und behaupten, es nicht zu wissen, ist das nicht wirklich leicht zu ertragen. es geht nur um Klopapier und ich weiß, dass die beiden keine Angst vor mir haben. aber diese Lüge hat mich in eine Monster-Dimension katapultiert. und da braucht mir auch niemand mit Erklärungen und „das gehört zum Alter“ kommen. das Ganze war nämlich eingebettet in das Thema „Hilfe im Haushalt – spätestens wenn ich darum bitte“ und wir wollten eigentlich los. ja sicher, ich kann Klopapier auch liegen lassen, davon geht nichts kaputt und das Klopapier wird nicht schlechter. aber Konflikte werden landläufig durch „liegeblassen“ nicht besser und die Provokation in dieser Geschichte sollte meiner Meinung nach auch nicht übersehen werden.
tja, es gab sicher 1000 Wege, das zu klären. ich habe mich aufgrund meines niedrigen Energie-Levels und der Herausforderung für Härte entschieden: für jedes „wir wissen nicht, wer es war!“ habe ich die Einbehaltung der Nintendos um eine Woche verlängert. sie dürfen die Dinger jetzt bis zu den Herbstferien nicht benutzen. dann wurde nämlich der Kleine weich und hat ausgeplaudert, worum es ging…nach 10 Fragen.
und dann sitzt Du da. Du hattest Recht. es fühlt sich beschissen an. und das Problem ist nicht die versuchte Lüge sondern Deine Position in dem Spiel. und dann geht es um den Urlaub und die gemeinsame Zeit und was bekommt wieviel Raum und wofür hast Du eigentlich noch Kraft und Du möchtest Ruhe und die Kinder akzeptieren Deine Bitte um Ruhe nicht. und Du willst allein sein und es geht nicht. und dann rekapitulierst Du, was ihr bereits getan habt, was gekauft wurde und für wen das alles Urlaub war und stehst in der Küche zwischen Töpfen und Geschirr, auf dem Tisch stapeln sich Malbücher und Stifteberge und auf dem Sofa liegen Klamotten und ich höre die Kinder wieder die Treppe hochpoltern und beim reinkommen schreit wieder einer, der andere habe ich geschlagen.
der Tag, an dem wir nach Büsum abgereist sind, war der Tag, an dem ich zum ersten Mal richtig lange geweint habe. ich habe das Apartment aufgeräumt und gefegt. das Radio dudelte. und ich wusste, ich reise aus meinem Lieblingsort ab, aus meinem Kraftort. und ich nehme dieses ganze Chaos mit. ich fühlte mich so einsam. in den anderen Wohnungen nur noch Paare. in den Cafés: Paare. und sonst überall Familien mit Doppelspitze (etwa null Diversität, btw.). sehr viel Konsum. sehr viel Abwechslung, zumindest am Strand konnte ich das gut beobachten: es ging einer von beiden mit den Kindern ans Wasser/schaukeln/buddeln/ein Eis kaufen und der/die andere hatte einen Moment zum lesen. ich musste meine Strandmomente ertrotzen. und selbst wenn ich zum umfallen müde war, hatte ich permanent zwei Kinder neben mir, die mich herausgefordert haben.
inzwischen sitzen wir in Büsum in einem 4Sterne Apartment. deplatzierter geht es kaum noch. uns wurde von dem Ort vorgeschwärmt und wir finden es alle 3 hier nicht schön (juhu! wir sind uns einig!). ja, es ist beeindruckend, in einem komplett aus einem Guss designten Raum zu sitzen und diese Küche kann Dinge, die würde ich von einer Küche niemals erwarten. wenn ich den Telefonhörer abnehme kann ich direkt an der Rezeption Antworten auf alle Fragen bekommen. und theoretisch wäre hier ein SPA-Tag drin gewesen. wenn ich nicht überall in der Broschüre gestanden hätte, dass Hotelgäste Vorrang haben, hätte ich mich vielleicht getraut, dort mal nach einem Massage-Vermin zu fragen. so fühlte ich mich als Apartment-Bewohnerin leider unangenehm berührt. dasselbe gilt für das Frühstücksbuffet.
draußen ist alles unfassbar aufgeräumt. das Haus liegt direkt hinter dem Deich auf der Höhe der wohl heiß begehrten Familien-Lagune. wir sind da einmal durchspaziert und fühlten uns irgendwie seltsam: eine Art Badesee mit Meeres-Zugang. überall Schlickwatt und Regeln und 2,- fürs Trampolinspringen. in der Lagune selber für meine Kinder unerreichbar Badeinseln mit Rutsche auf blauen Tonnen. und auf der anderen Seite zum offenen Meer hin eingeteerte Felsbrocken hinunter zum Wasser. hier wurde klar definiert, wo wann wer ins Wasser konnte. wir waren Wellen und Sandstrand gewöhnt. Wind. ganz viel Wind. Sand in jeder Ritze und die Anarchie der unendlichen Weite. Freiheit. Brausen der Wellen. die Strandbar auf den Pfählen…
die Ablehnung dieses Ortes half uns ein wenig, wieder die Fahrtrichtung zu finden:
„Wollt ihr hier in der Lagune schwimmen gehen?“
-„Mama, wir wollen da nicht ins Wasser…wir wollen an unseren Strand…“ *betretenes Schweigen*
„Na dann fahren wir eben wieder nach St. Peter-Ording, hm?“
„ja, Bitte…“
ja, das hat geholfen. wir verzichten auf die anderen Pläne, die wir für den Ort hier hatten. wir haben hier einen Tag lang ausgeruht. in diesem Haus, in dem pro Stockwerk 3 Apartments vermietet sind, deren Mieter wir aber einfach nicht begegnen, geschweige denn hören. mit Fernsehern in Wohnzimmer und Schlafzimmer. Balkon mit Deichblick. mit einem Spielplatz am Hotel-Restaurant, von dem ich immer wieder „halt die Fresse“ höre, wenn ich versuche mitzubekommen, wie dort gespielt wird. mit Balkon-Blick auf andere Menschen, die miteinander lachen und diskutieren und spazieren gehen, denen wir aber nicht begegnen und die auch nicht Zurückgrüßen, wenn wir ihnen ein „Mooooooin“ entgegenrufen (in SPO grüßen fast alle).
wir sind jetzt für drei Tage immer wieder nach SPO gefahren und werden auch heute wieder hinfahren. am letzten Tag. die Kinder wünschen sich noch Postkarten. ich wünsche mir noch ein paar innere Bilder. und Raum für meine Gedanken, der glücklicherweise schon beim Autofahren entsteht: 45min Autofahren helfen tatsächlich sehr.
inzwischen meine ich verstanden zu haben, dass meine Kinder synchron einen Entwicklungsschub aushalten mussten. der Kleine wurde innerhalb der letzten Woche zum Schulkind. der Große wurde zum Zweitklässler. wir haben bisher eine Art, miteinander umzugehen, die sehr viel Raum für Kindlichkeit lässt. weil wir da eine Spielebene miteinander finden. weil ich mich auch gern im Spiel dort bewege. dass ich nicht jeden Tag so zur Verfügung stand, wie sich meine Kinder das eventuell vorgestellt haben, hat wahrscheinlich die beiden so enttäuscht wie mich. und dass ich mich richtig hart abgrenzen muss, hat mich enttäuscht. bisher ging es auf Zuruf. in den letzten zwei Wochen musste ich meine Ruhe regelrecht schützen und verteidigen oder mir erkämpfen. wir mussten alle drei durch die Erkenntnis durch, dass ich, gebunden in Aufsichtspflicht und als alleinige Haushaltsführende ohne Vertretung sehr viel weniger Zeit für die Kinder habe und noch dazu eben gestresster bin als beide. da, wo die zwei Spannung abbauen, in dem sie durch den Garten rennen, suche ich meine Selbstbeherrschung, weil wieder niemand den Tisch abgeräumt hat. ich jongliere Konflikte und Kampfplätze und hadere mit Verboten, die ja immer auch mich selbst betreffen. ein aus Streit heraus gestrichener Ausflug bedeutet auch für mich eine Herausforderung. und dass ich die Umstellung von „Ferien-Nintendo-DS-spielen“ auf „anders beschäftigen“ mittragen muss, ist mir auch klar. und dann ist da abends eben niemand, der mir auf die Schulter klopft und nickt und mir ein Glas Wein einschenkt. dann muss ich das selber machen oder ich lasse es eben, weil ich dafür zu müde bin…
ich habe jetzt zwei Kinder, die wahrscheinlich andere Grenzen brauchen als noch die zwei Kinder vor 6 Wochen. ich bin jetzt eine Mutter, die andere Grenzen setzen muss, um Ruhe zu finden. vor uns liegt ein neuer Lebensabschnitt mit zwei Schulkindern. glücklicherweise auch mit Plätzen in der Nachmittagsbetreuung. für mich freiwerdende Zeit, um nach der Arbeit in Ruhe nachhause zu fahren und erstmal für mich den Vormittag zu verarbeiten. die Möglichkeit, Essen für mich zu kochen oder es sogar zu lassen. meine Kinder werden in der Schule von einem Caterer versorgt werden.
ich wäre gern eine Mama gewesen, die ihre Kinder während der Schulzeit bekocht. das hatte auch ein Jahr lang schöne Seiten. aber es hat so viel Kraft gekostet, dass ich es aufgeben muss. wie das eben so ist.
es hat auch etwas mit Loslassen zu tun, denke ich. mit dem Loslassen der Kindergarten-Ära. sie hat uns dreien sehr viel bedeutet. im Kindergarten wurden wir aufgefangen, als die Ehe eskalierte. der Kindergarten hat uns unterstützt, geschützt, beraten. die Leiterin hat jede meiner Bitten liebevoll gewährt. die Betreuenden der beiden Kinder waren immer zugewandt und offen. selbst in dem Konflikt, den wir im letzten Jahr hatten, blieben alle gesprächsbereit. die Horrorgeschichten, die ich aus dem Internet kenne, haben sich bei uns nicht wiederholt. in der Schule finden wir sicherlich auch Ansprechpartner*innen, wenn wir sie brauchen, aber einerseits wird sich nicht wiederholen, was während der Kindergartenzeit geschah. und andererseits ist die Nähe zu den Eltern jetzt einfach nicht mehr so wichtig wie noch im Kindergarten.
darüber hinaus werde ich wohl jetzt langsam diese Kindergarten-Kindlichkeit loslassen müssen. nicht jedes Kind lässt sich in der Grundschule noch gern zum basteln verführen. und gerade wenn keine Vaterfigur als Role-Model zur Verfügung steht, werden große Jungs spannende Vorbilder. auch wenn diese Jungs Worte benutzen, die meine beiden noch gar nicht verstehen. damit werde ich leben müssen. es wird sich vieles ändern…auch meine Kinder.
wenn wir zurückkommen, werden die Freunde meiner Kindern auch aus dem Urlaub zurück sein. wir haben noch 4 Tage Ferienzeit und dann beginnt der Alltag ganz langsam zu greifen. Montag ein halber Schultag für den Großen, Dienstag die Einschulung vom Kleinen. und dann eine halbe Woche Unterricht bis 11:30 für alle. wir dürfen langsam hinüber gleiten in das neue Leben hinein. an den Wochenenden haben wir noch viele wunderbare Dinge vor. Geburtstagsfeiern, das Musik-Festival…wir werden den Sommer auskosten und den Herbst dann als eingespielte Schulkinder-Familie beginnen.
ja, der Urlaub wurde uns ein wenig vergällt durch all diese Schübe und die Bedingungen. aber andererseits hatten wir schnell die Möglichkeit, den Kopf in den Wind zu halten. hier habe ich mich Dinge getraut, die ich mich zuhause nicht getraut hätte. aus Gewohnheit. hier musste ich sowieso auf viele Routinen pfeifen. zuhause hätte eine andere Struktur gegriffen. vielleicht war das, was hier passiert ist, nur hier so möglich…
da sitze ich jetzt auf dem Sofa und habe den Kleinen bereits 4 Mal wieder ins Bett geschickt, weil ich extra früher aufgestanden bin, um alleine tippen zu können. er hat es toleriert. und ist inzwischen nochmal eingeschlafen. ich werde wohl meine Räume klarer abgrenzen in Zukunft. und weiter an dem Thema „Haushalt“ mit den beiden arbeiten. aber erstmal kommt die Einschulung mit der Umgewöhnungsphase. „ein Schritt – ein Besenstrich“.
und dann sehen wir weiter.
Liefs,
Minusch
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Nachmittagsbetreuung ist doch super! Ganz bestimmt auch für die Kinder, die sich dort austoben und schon mal ein paar Konflikte mit Gleichaltrigen austragen können.
Und beim Thema Haushalt im Urlaub hat bei uns ein Wettbewerb geholfen: Wer den Tisch deckt, abräumt o.ä. , bekommt einen Punkt. Und wer die meisten Punkte hat, bekommt beim Urlaubs-Abschluss-Eisessen den größten Eisbecher. Auf einmal hieß es „Bleib sitzen, Mama, ich mache das!“
Ich wünsche euch einen guten Start ins neue Schuljahr!
Danke Dir 🙂