vor uns liegt das nächste Neue. nach so vielen Veränderungen in den letzten zwei Jahren, was unseren Alltag angeht, fürchte ich mich als Mama inzwischen ein wenig vor der nächsten. der Vater zog aus dem Schlafzimmer (Frühling 2016), der Wohnung (Herbst 2016), dem Leben (Frühling 2017)und der Stadt (Sommer 2017). dann der Beschluss umzuziehen inklusive Umzug innerhalb von 2 Monaten FRühling/Sommer 2018). das Ende der Kindergartenzeit für den Großen (Sommer 2018)…und damit einhergehend die nächste große Veränderung: die Einschulung.
meine größte Sorge in all den war, vielleicht nicht die richtige Begleiterin für meine Kinder zu sein. vielleicht lächeln jetzt manche gönnerhaft: „Ach, Minusch…Du zugewandtes Muttertier…worüber Du Dich sorgst“. aber ich glaube, dass ich mit dem unsicheren Gefühl, alleine zwei Kinder durch diese Phasen zu begleiten und selbst auch noch Raum zu beanspruchen (selbst wenn der Raum spärlich bemessen ist), nicht alleine bin.
Du findest zu allem und jedem DIYs und Anleitungen. ich hab eben auf Pinterest eine Anleitung gelesen, wie der erste Schultag optimal vorbereitet wird. dieser Artikel umfasste sogar sowas wie eine Prioritätensetzung und eine fiktive Zeitplanung. es gibt Familien, die können sowas scheinbar in aller Ruhe machen. planen. einkaufen. entwerfen, einladen. bei uns ist für diese Planung gar nicht so viel Zeit. naja, aber auf jeden Fall steht nirgends, wie Du Dein Kind und Dich innerlich darauf zugehst.
ich möchte also versuchen, meine Haltung und unsere gemeinsame Vorbereitung auf die Schule zu beschreiben. denn für ein Kind bedeutet diese Einschulung sehr viel. andere Aufgaben. andere Freizeitgestaltung. andere Freiheiten. und eine andere Gruppe…
seit dem letzten Sommer stelle ich mich auf diese Veränderung ein und beeinflusse damit natürlich auch meine Kinder. wir haben viel darüber gesprochen und ich habe immer wieder erklärt, was Kinder in der Schule lernen. nebenbei haben wir Buchstaben abgemalt, weil der Große das wollte. für mich hätten es auch Schleifen und Schnecken getan. wir haben die Uhrzeit angefangen zu üben. wir haben Schwimmen geübt. immer im Hinblick darauf, dass das cool wäre, wenn er es zum Schulbeginn könnte. aber auch immer nur im Rahmen dessen, was Spaß macht.
mein ursprünglicher Super-Plan war ja, meinen Großen beim Hapkido anzudocken. er macht gern mit mir und im Kindergarten Yoga, sein Körpergefühl ist sehr schön, zart, verspielt. aber mit gleichaltrigen Gruppen und Anstrengung hat er es nicht so. Shinson Hapkido erschien mir als die passende Mischung von Konzentration, Bewegung und Miteinander. es machte ihm auch Spaß, allerdings war es für uns drei zu anstrengend, mittwochs nach meinem 6h-Vormittag pünktlich am Dojang zu sein. also haben wir es mit Einsetzen der Grippe-Saison auf Eis gelegt und warten noch ab, ob wir wieder anfangen wollen.
ich habe an verschiedenen Stellen Alltagskompetenzen mit ihm erweitert und ihn in seiner Selbständigkeit unterstützt. das klingt vielleicht unspektakulär, weil das in vielen Familien so läuft. ich will dafür auch keinen Orden. ich will nur die Gedankengänge dahinter sichtbar machen: Tisch decken und abräumen, Ordnung schaffen, aussortieren, Wäsche wegräumen, Taschengeld verwalten, selbständig mitdenken…manchmal legt er jetzt selber Wäsche zusammen oder hängt sie auf. es wirkt. zwar nur dann, wenn die Laune gut ist, aber das wäre bei Erwachsenen genau das Gleiche, nicht wahr? ich habe auch noch mehr vorgelesen, und endlich auch die Bücher ohne Bilder rangenommen.
was genau haben wir geübt, wenn wir etwas geübt haben?
– Buchstaben nachmalen: Verknüpfung Hand-Auge-Koordination, Konzentration, Frustrationstoleranz erhöhen, Gestaltungsspielraum erweitern…am Ende hat er mir den Text für seine Abschiedskarte an seine Erzieherinnen diktiert und es dann selbst abgeschrieben. ein Ausdruck seines Mitteilungswillens.
– Uhrzeit lesen: Übertragung von Zeit auf ein 2dimensionales Bild, Auseinandersetzung mit Zeit, Selbständigkeit, Verständnis für den Zahlenraum von 1-12…volle Stunden kann er inzwischen erkennen und beschreiben. ganz stressfrei.
– schwimmen: Auseinandersetzung mit der eigenen Angst und Unsicherheit, Vertrauen in eine lehrende Person (es gehört einiges dazu, ohne Schwimmflügel im Wasser gleiten zu üben, nur weil jemand das sagt), Erfolgserlebnisse, Ganzkörper-Koordination…nein, das Seepferdchen schaffen wir noch nicht. aber ich möchte ihm so gut ich kann ersparen, in der dritten Klasse von einem Lehrer Schwimmen beigebracht zu bekommen, der im Schwimmbad Konzentration erwartet, was bei dem Medium Wasser ohnehin schwer fällt, obwohl doch auch Angst beteiligt ist. und einen Schwimmkurs können wir uns nicht leisten. so arbeiten wir in unserer Geschwindigkeit daran, langsam mehr Schwimmzüge zu machen. spielerisch. und die Erfolgserlebnisse aus diesem Sommer sind tief verankert in seiner Erinnerung. „ich kann das, was ich übe, irgendwann gut.“ dieses Wissen wird für immer seins sein.
– Hapkido: das Hapkido hätte oder hat noch den Sideffect gehabt, dass es sowohl Meditation als auch körperliche Anstrengung fordert und so ein sehr komplexes Entspannungs-Anspannungs-System gewesen wäre, das ich ihm gern mitgegeben hätte. auch inhaltlich steht das Shinson Hapkido für ein Wertesystem des gegenseitigen Helfens und für Liebe zu seiner Umwelt. beides Faktoren, die gut zu unserer Familie passen. glücklicherweise hat er inzwischen sogar nachgefragt, ob er nochmal hingehen könnte. ich hab mich darüber riesig gefreut, denn es ist mir schwer gefallen, dass Training aufzugeben. auch, weil ich noch gelernt habe, dass Kinder zur Regelmäßigkeit „gezwungen“ werden müssen, gerade beim Sport. das widerspricht allerdings auch meiner Vorstellung von Lernen und Familie und dementsprechend bin ich jetzt umso beruhigter, dass die gemeinsame Entscheidung so schlecht nicht gewesen sein kann.
– Yoga: Gefühl für den eigenen Körper und die Schönheit von Bewegung. Fokussierung auf die eigene Atmung und das Jetzt. das Nervensystem lernt außerdem, dass Entspannung geschieht und verschiebt die Anspannungsroutine zu einer Entspannungsroutine. je öfter Du Dich entspannst, desto schneller reagiert das Entspannungssystem und wirkt sich so auf Deinen ganzen Körper aus.
– Vorlesen: der Sprachschatz erweitert sich und es wird Konzentration geübt. ich fordere bei meinen beiden Kindern auch inzwischen ein, dass sie dabei ruhig sitzen und keine Geräusche machen. mit den Händen spielen kann bei der Konzentration hilfreich sein.
– Taschengeld: der Umgang mit Zahlen und die Freiheit, selbst über Konsum zu entscheiden, und das alles unter realen Bedingungen, gibt dem Kind Selbstsicherheit. ja, ich muss damit leben, dass auch Dinge in die Wohnung einziehen, die ich nicht soooo toll finde, aber andersherum müssen das meine Kinder ja auch aushalten.
– Haushalt: es macht Sinn, Kinder da mit einzubeziehen, weil die meisten Tätigkeiten sehr einfach sind, oft wiederholt werden und einen ordentlichen Impact haben. und was mir am wichtigsten ist: ein Kind lernt, selbst zu erkennen, was wann getan wird, wenn dieselben Tätigkeiten immer ungefähr zur selben Zeit getan werden. gut, das mit der selben Zeit fällt mir etwas schwer, weil ich oft müde bin. aber seis drum: die Routinen sind grob da und der Große erkennt sie schon gut.
zu diesem Zeitpunkt jetzt gerade hat mein Großer bereits gelernt, dass er durch Üben etwas spürbares erreicht. er kennt verschiedene Entspannungstechniken. er ist neugierig und drückt sich gern aus. er kann gemeinsam mit anderen Entscheidungen fällen. er kann grob die Uhr lesen. er kennt die notwendigen Wege und kann sie teilweise alleine gehen. er kann erkennen, wie welche Tätigkeit vorbereitet wird und was wann aufgeräumt werden sollte. er kann erklären, was er mag und was nicht.
und das Wichtigste: er kann benennen, was in ihm vorgeht. wir haben über jeden Abschnitt gesprochen. wir sprechen über uns, unsere Gefühle. über mich und die Auswirkungen meines Verhaltens (Schimpfen bspw.) auf die beiden. er kennt ein breites Spektrum an miteinander verknüpften Gefühlen und kann sie ausdrücken und zeigen.
jetzt stehen wir als Familie auf dem Sprungbrett in etwas Neues. das, was ich ihm mitgeben wollte, hat er dabei. vielleicht könnte er die Uhr schon richtig lesen, wenn da noch eine Nummer 4 gewesen wäre. vielleicht hätte er schon das Seepferdchen. vielleicht wäre hier zuhause schon mehr Ordnung. sicher wären wir nicht umgezogen und hätte zusätzlich noch diesen Umbruch zu verarbeiten. wären wir zu viert gewesen, hätten wir sicher Urlaub gemacht und wären weggefahren. so verlief der Sommer vor seiner Einschulung mit Umzugsaufgaben, meiner Müdigkeit und Erschöpfung und viel Zuhause sein. aber eben auch mit Ausmisten, neuen Möglichkeiten zur Selbständigkeit (Bäcker gegenüber und Kindergarten um die Ecke) und vielen Gesprächen über unsere Gefühle, was die neue Wohnung angeht.
ich weiß nicht, was sein wird. vielleicht geht der Umstieg ganz reibungslos. vielleicht strengt es ihn an. vielleicht wird er traurig sein, weil jemand was zu seiner Vorliebe für Rosa sagt. vielleicht werde ich total erschöpft sein, weil ich fürs erste auf Hortbetreuung verzichten werde. vielleicht übertreibe ich mit meiner Sorge. vielleicht ist sie berechtigt. vielleicht wird es dem Kleinen schwer fallen, ohne den Großen im Kindergarten zu sein. vielleicht vielleicht vielleicht vielleicht…
was ich weiß, ist, dass wir als Familie alles haben und können, was es braucht, um diesen Weg zu gehen. keins von uns ist überfordert. wir stützen einander und schauen aufeinander. wir setzen Prioritäten gemeinsam. und wir vertrauen darauf, dass wir voneinander spüren, wo wir gerade als Familie stehen. und mit diesem Stolz werde ich am Einschulungstag zwischen zwei Freundinnen stehen und mein Kind ansehen. er wird mit der Schultüte zwischen anderen Kindern stehen und in seinem Schulranzen, seiner Schultüte, seinem Kopf und seinem Herzen all das tragen, was er braucht, um vertrauensvoll weiterzugehen.
ich möchte mit diesem Beitrag sichtbar machen, was hinter all dem liegt, was vordergründig gefördert wird. ich möchte sichtbar machen, dass das, was unsere Kinder in der Schule unterstützt, das Wissen um sich selbst und die eigenen Grenzen und Möglichkeiten ist, und dass sie das von Zuhause mitbringen, wenn sie es dort erlebt haben. wenn Familienmitglieder sich einander liebevoll zuwenden, wird niemand hinten über fallen. es zählen nicht die Happenings und aufregenden Erlebnisse. es zählen weder Geld noch Adrenalin. es zählt die Gewissheit, dass wir einander begleiten, selbst wenn jedes für sich eine Streck geht.
wenn wieder jemand erzählt, dass Alleinerziehende ihre Kinder nicht gut genug fördern können, um in der Schule erfolgreich zu sein, dann wünsche ich allen Alleinerziehenden ein Lächeln auf die Lippen. das, was unsere Kinder in dieser engen Familien-Konstellation lernen, ist mehr wert als gute Noten. und dass es auch anders geht, als es im Bilderbuch steht, dafür sind wir der lebende Beweis.
Liefs,
Minusch
PS: ich werde diesen Beitrag beim scoyo-Blog-Award einreichen. wünscht mir Glück, ja? ❤
Toll! Du machst das super!
Ich wünschte, ich hätte das so strukturiert und übersichtlich in Taten und Worte fassen können. Dein Beitrag schafft eine angenehme Klarheit in meinem Kopf – all die schönen Briefe „an mein Schulkind“ hingegen haben nur Druck und Gefühle von Unzulänglichkeit erzeugt. Danke! ❤️
danke für die Rückmelden 🙂
ich finde, die Vorbereitung auf die Grundschule unterliegt einem sehr seltsamen Filter der sich aus Konsum und Leistung zusammensetzt. und es ist schwierig, sich da immer wieder auf sich selbst zu besinnen, was zur Konsequenz hat, dass wir uns natürlich unzulänglich führen, angesichts der Standards.
dabei sind wir es nie…