Guten Morgen.
ich dachte mir: wenn Frauen so eine immens hohe Wahrscheinlichkeit haben, arm zu werden und arm zu bleiben (arm=Einkommen knapp über oder auf Hartz IV oder drunter…ich glaub die offizielle Grenze liegt auch irgendwo knapp da. aber weil ich arm bin, muss ich das gerade echt nicht googeln), dann können doch da mal konkrete Tipps und Tricks her, wie damit umgegangen werden kann. so progressiv. vorausschauend. am besten ist es nämlich, wenn Du Dich vorbereiten kannst, weil Du schon weißt, was auf Dich zu kommt. der Rest ist so wie Eltern werden: Du wächst schon rein.
also, mache ich mir jetzt mal Gedanken darüber, was schon im Vorfeld getan werden kann.
1) nicht sparen.
Erspartes verliert seinen Sinn sobald Du arm bist. entweder es ist ohnehin zu viel und Du musst erst Teile davon aufbrauchen oder Dich verwaltungstechnisch irgendwie durchsetzen, es im Strumpf und nicht auffindbar gespart haben oder schon lange schriftlich verschenkt haben (kurz vorher gilt nicht). oder es wird zu etwas, was beschützt werden muss und nicht angetastet werden darf. wenn Du erst Mal arm bist, wirst Du davon keinen Urlaub machen und es wird jedes Mal weh tun, wenn Du dran gehst. und Du wirst darunter leiden, dass es immer nur weniger wird und nicht mehr. mein Tipp: gib es vorher aus! beispielsweise für hochwertige Klamotten, die lange halten, wenn Du erst arm bist. es tut gut, sich trotzdem gut anziehen zu können. oder in eine gute Kaffee/Spül/Näh/Waschmaschine oder ein Fahrrad und ein Drucker mit Kopier-Funktion. Dinge, die eine möglichst lange Haltbarkeit haben und im Alltag helfen.
2) ein Pinterest-Konto.
ernsthaft, mach Dir da einen Account und gewöhn Dich an das System, denn: auf Pinterest findest Du so unendlich viele low-life-Tipps, dass Du Dich schon fast als Hipster fühlst. auch Haushaltstipps, Heimwerker-Tipps, Rezepte… (how to grow an avocado tree out of an avocado, how to clean your toilet with handmade toilet soap, 100 dishes with just two ingredients, low waste, bunkbeds out of paletts….). Du findest echt alles! und noch dazu sehen die meisten Bilder irgendwie schön aus. und wenn Du abends nicht einschlafen kannst, scroll da durch die Vorschläge und träum Dich weg in Möglichkeiten, die Du tatsächlich umsetzen könntest (im Gegensatz zu Urlaubszielen, die Du nie erreichen wirst).
3) Foodsharing.
das gibts wohl eher in Uni-Städten, aber guck einfach mal nach. abgesehen von etablierten Foodsharing Systemen (Essensspenden werden organisiert abgeholt und an feste Verteilerplätze in der Stadt geliefert, an denen sich jeder ohne bürokratischen Nachweis bedienen darf). Du begegnest dort vor allem Studenten mit alternativem Hintergrund und wirkst nicht direkt arm. eventuell wirkst Du sogar politisch, denn so ist Foodsharing gedacht!
4) die Tafeln.
zugegeben: unsere Tafel habe ich noch nicht genutzt, aber ich weiß wo sie ist. und dass ich da nicht hin will, denn: ich muss meine Bedürftigkeit nachweisen und mich an deren Zeiten halten. das schaff ich nicht…ich erklär auch gern warum.
für die Tafeln ist die Bedürftigkeit nach deren festgelegten Sätzen nachzuweisen. dann bekommst Du einen Berechtigungsschein (der eventuell turnusmäßig erneuert werden muss) und am Anfang jeden Monats bekommst Du eine Nummer, die festlegt in welchem Zeitfenster Du für 2,- „einkaufen“ darfst. auf der Homepage wird direkt menschenfreundlich darauf hingewiesen, dass Dir die Einkausberechtigung entzogen wird, wenn Du „mehrfach unentschuldigt fehlst“ (Häh?), eine verlorene Nummer kostet 5,- (what?) und wenn das Kundenaufkommen steigt kannst Du nur alle zwei Wochen hin und eben nicht wöchentlich (nett).
muss ich deutlicher noch werden? ok: die Ausgabe-Zeitfenster liegen hier zwischen 9:00 und 14:00. ich arbeite von 9:30 bis 13:05 im nördlichsten Stadtteil der Stadt. und an manchen Tagen bin ich nach der Arbeit einfach nur müde, habe aber trotzdem Hunger. ich hätte keine Chance, diese Form der Hilfe in Anspruch zu nehmen (die Ausgabestelle ist kur vor Beginn des Straßenstrichs in Richtung Bahnhof…also nicht außerhalb. aber auch alles andere als zentral). außer in den Ferien. ich denke drüber nach, ob ich es in den Ferien annehmen möchte. denn die Auswahl der Tafeln ist sehr viel größer als die beim Foodsharing.
5.) Mundraub.org.
wenn der Frühling beginnt, kannst Du auf Mundraub.org saisonales, wild wachsendes Obst und Gemüse oder Kräuter finden. die Karte wird von allen Nutzer*innen gepflegt und aktualisiert. in der Bärlauchzeit kannst Du auch in der Stadt kleine Bärlauch-Stellen finden um Dir selber zum Beispiel Pesto machen zu können und einzufrieren. es finden sich auch Birnbäume, Brombeerhecken, Marillenbäume, Haselnussträucher…ach was eben bei Dir so in der Nähe wächst. der Nachteil ist: es kann sein, dass Du es zu spät schnallst und die erwähnte Stelle ist schon abgeerntet. die Seite weist zwar darauf hin, nur die Menge für den eigenen Bedarf zu ernten, aber der ist ja relativ und viele eigene Bedarfe ernten auch einen Apfelbaum leer. so oder so hast Du (mit zeitlichem Aufwand) gute Gründe für Guerilla-Fahrrad-Ausflüge mit den Kindern um dann mit den Tipps von Pinterest was Schönes daraus einzukochen.
6.) Nähmaschine.
wenn Du irgendwie kannst, besorg Dir eine Nähmaschine! Tutorials findest Du mit Leichtigkeit, wenn Du nie in der Schule den Nähmaschinenführerschein gemacht hast. allein die Möglichkeit, vom Fahrrad durchgescheuerte Jeans selber flicken zu können, spart Dir pro Jeans 10-13,- Geld beim Schneider gegenüber (sorry, Ahmet). und bei zwei Kindern in der Pubertätrechnet sich das spätestens in der Pubertät.
7.) Fahrräder.
…und dicke Schlösser!!!! ich muss nicht erklären, wozu ein Fahrrad gut ist, nicht wahr? wenn Du kein*e passionierte Schwarzfahrer*in bist, dann ist das Fahrrad die einzige Alternative. wenn Du sie hast.
hier in Darmstadt gibt es allerdings das call-a-bike-System. ich hab es nie getestet, aber es ist sehr präsent. wäre vielleicht auch ne Lösung…
8.) Marmeladengläser.
jaja, sammel die alle! denn diese Gläser können richtig gut tun!
-im Kühlschrank bewahren sie sichtbar Reste auf
-Marmelade darin einkochen geht, wenn Du sie vorher in kochendem Wasser sterilisiert hast
-selbstgekochte Marmelade ist ein schönes Geschenk!
-auch Kräuterbutter, Aioli, Tomatensauce oder Chutneys halten sich super im Kühlschrank in Marmeladengläsern
-auf Kindergeburtstagen oder auf dem Balkon sind sie gute Trinkbecher (mit Deckel)
-auch Büroklammern, Sicherheitsnadeln, Pinnadeln, Legosteinchen oder Zahnstocher sehen in Marmeladegläsern netter aus
-mit Tesakrepp lassen sich die Gläser gut beschriften
9.) spotify.
ich gönne uns ein spotify-Abo, denn: ich brauche Musik. und ich brauche neuen Input. und wir als Familie brauchen Hörspiele. wir zahlen 9,99Euro/Monat für die Nutzung des Premium-Accounts. das ist ziemlich viel für uns. aber es tut gut und überbrückt vieles. gerade zum Beispiel kuschelt der Kleine an mir und hört die drei Fragezeichen kids während ich tippen kann.
ich höre jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit und jeden Mittag auf dem Weg zurück übers Handy Musik. ich höre beim Putzen Podcasts oder Musik oder Hörbücher…es ist eine gute Lösung, um sich frei zu fühlen, finde ich. allerdings gibt es inzwischen auch viele online-Radios, die kostenfrei nutzbar sind und ihre Werbung nur auf der Seite einblenden und nicht in Spots dazwischen schalten (oder nur wenig). auch über SoundCloud gibt es viel zu hören. also: wer Freude daran hat, im Internet rumzusuchen, findet auch sehr viele kostenfreie Angebote.
für mich ist spotify die passende Lösung.
wirklich: ich brauche Musik. Musik hilft mir, Krisen zu bewältigen. Musik hilft mir, mich schön zu fühlen und zu lächeln. Musik ist Teil meiner Depression-Prävention.
10.) Blutspenden.
das kann eine Möglichkeit sein, wenn Du mal schnell an 20,- kommen musst. die meisten Städte haben irgendwo Blutspende-Stellen. ich war jahrelang bei der Uni-Klinik Mainz Plasmaspenderin. zur Zeit spende ich nichts, aber ich habe es im Hinterkopf. allerdings musst Du Dich da vorab erst registrieren lassen. in der Regel wird die erste Blutspende nicht mit Aufwandsentschädigung belohnt, weil das Blut erst durchgecheckt wird. und: für Homosexuelle, Besucher Großbritanniens, frisch Tätowierte oder Geimpfte…also für eine sehr diffuse Gruppe ist die Spende ausgeschlossen. ich werte das jetzt an dieser Stelle nicht. manches davon ist für mich total logisch. anderes einfach nicht.
11.) Depression.
Armut belastet. die Bürokratie rund um Armut belastet. nicht frei entscheiden zu können belastet. immer wieder zu hören, wohin andere Familien mal eben spontan fahren, belastet. mach Dich darauf gefasst, dass Du Dich immer wieder nicht wohl fühlen wirst. ändern kannst Du das nur, wenn Dir all das ohnehin egal ist, aber dieses Ziel erreichen Buddhist*innen auch nur durch tägliche Meditation. der Weg steht Dir immer offen. ist aber keine schnelle Lösung. schnelle Lösungen sind Reflexionen über Lebensgeschwindigkeit und Wissen über die stimulierende Wirkung von Langeweile auf Kindergehirne. jaja, Abwechslung ist toll und neue Reize sind wären auch prima. aber Langeweile hat eben die Qualität, Kreativität zu fördern. dafür muss sie 20min lang ertragen werden, dann fängt das Gehirn an, Lösungen zu konstruieren. wir können unseren Kindern so eine kostenlose Frühförderung ohne Mehraufwand gönnen.
was auch hilft: kleine Ziele. Wenn Du eine Deadline für 3 Anträge hast, mach 3 Deadlines daraus. am besten mit Wochen-Abstand, wenn Du früh genug planst. und dann mach jeden Tag einen Teil der Aufgabe: ein Tag durchlesen. ein Tag ausfüllen. ein Tag Unterlagen raussuchen. ein Tag Unterlagen kopieren. ein Tag Brief fertig machen und dann abschicken.
die Wahrscheinlichkeit, dass Du depressiv wirst, ist enorm hoch. vieles spricht dafür, dass es Dich erwischen wird. Depression lässt sich gut behandeln. sie ist offiziell die am besten behandelbare seelische Disbalance. und Dir werden nicht die Kinder weggenommen, nur weil Du depressiv bist. wirklich nicht.
Du kannst vorbeugen, wenn Du es schaffst, Deine Ansprüche an Dich selber zurück zu schrauben und wenn Du nicht vergisst, Dir selbst auch gut zu tun. Essen kochen kann vorbeugen: wenn es Dir gelingt, aus wenig etwas Schönes zu machen, kann das gut tun. und sag Dir nicht immer selber nein. das geht schief. kritisiere Dein schlechtes Gewissen (es ist ohnehin nur ein Stellvertreter Deiner Vorannahmen über gesellschaftliche Urteile). sprich gut über Dich. gönn Dir Pausen. betrachte Versagen als menschlich. fass Dich selber an (abwaschen, eincremen, streicheln, masturbieren). häng Dir Sätze an die Wand, die Dir wirklich gut tun. rede darüber, wenn Dir etwas fehlt.
dass Du in dieser Lebenssituation kein Sonnenschein sein musst, ist klar. und: Kinder finden Pyjama-Days gut! vielleicht erinnerst Du Dich an Studierenden-Zeiten und wie verdammt faul Du da tagelang warst? kein Mensch geht ein, wenn ein Wochenende lang nichts passiert. es kann eine Familie zusammenschweißen, wenn offen und ehrlich darüber gesprochen wird: „Kinder, ich fühl mich heute echt nicht gut. ich bin traurig, weil ich diese Woche nicht geschafft hab, was ich schaffen wollte und gerade ist mir einfach alles zu viel. wollen wir zusammen die süße Dose leeressen und einen Film gucken?“
wenn Du spürst, dass die depressiven Verstimmungen zu dicht werden oder zu massiv, wenn Du beginnst, Dich vor Deinen Kindern so arg zu schämen, dass Du handlungsunfähig zu werden drohst: such Dir Hilfe. warte nicht auf Erlösung. handle selbst. für Dich. den Zeitpunkt entscheidest Du.
12.) der Drucker mit Kopierfunktion.
schaff Dir einen an. es ist eine Mega-Entlastung, wenn Du zuhause Deine Lohnzettel und Bescheide kopieren kannst, denn Du wirst mindestens ein Mal jährlich viel kopieren müssen um die Anträge neu zu stellen.
und ein Drucker macht auch für Kinder Sinn, denn:
das Internet ist voll von Ausmalbildern, Mandalas und Vorlagen für Geburtstagseinladungen.
ehrlich: schaff Dir rechtzeitig einen Drucker mit Kopierfunktion an.
…so, das zweite Kind wird wach und ich mag jetzt Frühstück machen. diese Liste spiegelt meine Fähigkeiten und Erfahrungen. deswegen ist sie nur eine Liste und nix zum Abhaken. aber sie steht jetzt hier. als Möglichkeit. zum Sensibilisieren. und um Teil der Debatte zu sein.
heute findet in Berlin eine Demo gegen Kinderarmut statt. unterstützt das Anliegen der organisierenden Frauen ruhig! Kinderarmut ist wirklich für gar nichts gut. und arm sind die Kinder trotz engagierter Eltern. es liegt nirgendwo ein Selbstverschulden vor. es ist dieses System, das dazu führt, dass es diese Wahrscheinlichkeiten für schlechtere Chancen zementiert sind. dieses System, dass es Frauen unmöglich macht, gut für sich selbst UND für die eigenen Kinder zu sorgen. dieses System, dass es möglich macht, dass sich Väter der Sorge für die Kinder entziehen. dieses System, dass Familien mit schwachen Ressourcen unverhältnismäßig mehr belastet als Menschen ohne Kinder.
#esreichtfuerunsalle
#gegenKinderarmut
#zusammenlaut
dies hier ist meine Stimme gegen Kinderarmut!
Minusch
Auf ebay Kleinanzeigen findet man manchmal Dinge, die man gerade braucht UND die verschenkt werden.
Danke für die wieder mal gute Auflistung!
Alles Liebe
Verena
Ebay Kleinanzeigen, nebenan.de, Facebook-free your stuff, die „zu verschenken“-Kisten im Kiez (hier gibts sogar einen „zu-verschenken“-Platz), Flohmärkte, Sperrmüll…es gibt unfassbar viele Möglichkeiten, zu finden, was fehlt. 🙂
ich erweitere die Liste noch. dann schreib ich das mit rein.