Mutter-Kind-Kur

als ich noch Kind war, gab es diese Blechdosen und die kleinen Papp-Blumen an dürren Drähten verbunden mit dem Slogan „wir sammeln fürs Mütter-Genesungswerk“. einmal hab ich da mitgemacht: wir waren vier blonde Mädels und sind von Haus zu Haus gegegangen und haben um Spenden gebeten. im Hintergrund immer eine unserer Mütter.

…das ist schon irgendwie ziemlich hart, oder? Kinder sammeln (mit Müttern) für das Mütter-Genesungswerk. aber gut, Marketing war ja auch in den 80ern schon gut und Kindern wird sicher eher was gegeben als einer Frau mit strähnigen Haaren und Baby auf dem Arm, beispielsweise.

seit meinem ersten Kind begegnet mir der Begriff „Mutter-Kind-Kur“ ganz selbstverständlich als Möglichkeit, mir selbst als Mutter gut zu tun in all dem Alltagsstress.

Leute, das merk nicht nur ich, oder?
schon mit der Entbindung wird damit gerechnet, dass ich es nicht schaffe.
bemerkenswert.

wie ein Bollwerk steht zwischen mir und einer „Mutter-Kind-Kur“ nur noch die Krankenkasse, die sagt: „dat is schon wat übertrieben“ und erst Mal alle Anträge ablehnt. also, wenn Du „Mutter-Kind-Kur beantragen“ googelst, kommt zumindest immer gleich eine Anleitung für den Widerspruch bei der Krankenkasse raus. „Dranbleiben“ heißt es dann. Widerspruch einlegen, dann klappt das!

ja, was klappt denn dann? dann haben wir der Krankenkasse gezeigt, dass wir unsere Rechte kennen und das einfordern können und vielleicht, dass uns eine Beratungsstelle dabei hilft (es gibt Beratungsstellen, damit Du den Antrag RICHTIG stellst! ist das zu glauben? auch das schaffen wir Frauen nämlich nicht!). wir zeigen, dass wir überzeugt sind, es alleine nicht zu schaffen.

dann hast Du die Zusage für irgendeinen Deiner Klinikvorschläge (das entscheidet die Krankenkasse…wie denn?) und bekommst einen Termin, wann Du Deine 3 Wochen da antreten darfst. wenn Du Glück hast, wird Dein Gepäck für 3 Wochen (!) von jemandem abgeholt, so dass Du etwas entspannter Bahn fahren kannst. 3 Wochen.

ich hab letzten Sommer für zwei Wochen Zelten an der Nordsee gepackt. wir mussten uns beschränken, ich habe dort alle zwei Tage eine Waschmaschinenladung angestellt. es geht. klar. dem voraus ging eine genau geplante Waschorgie, damit am Reisetag die notwendigen Klamotten da sind. also: für 2 Wochen Urlaub brauchte ich zwei Wochen Haushaltsvorbereitung. auch was Lebensmittel anging. in den Urlaub hab ich dann einfach Reste mitgenommen. geht das auch bei ner Kur? ich bin mir nicht sicher…

eigentlich würde ich ja ganz gern selbst in so einer Einrichtung arbeiten. am liebsten an der Nordsee. es gibt eine Einrichtung in St. Peter-Ording, ein sehr seltsamer Bau, aber eben in Küstenlaufweite. vielleicht wird’s ja mal was, denn ich weiß nicht, wie wahrscheinlich es wäre, dort hinzubekommen, wenn ich diese Klinik auf Platz 1 setze (die hat einen Atemwegs-Erkrankungen-Schwerpunkt)?

Moment: Klinik? Krankenkasse? bin ich krank, wenn ich dort lande?

ja, meine Damen und Herren: Mütter können am Alltag erkranken und dürfen sich dann in so einer Klinik dabei helfen lassen, zu verstehen, was sie denn falsch gemacht haben!

ist das cool? wir kriegen Tipps für Ernährung, Sport und wie ich „Zeit für mich“ einplane und das bei Vollpension! wenn wir Glück haben, gibts einen ambitionierten Koch in der Küche, der auf Extrawünsche abfährt. wenn wir kein Glück haben, dann eben nicht. das ist quasi eine individualisierte Frauenzeitschrift in 3D! nur die Mode-Tipps und Shopping-Vorschläge fehlen, aber hey: ist ja auch ne Kur UND KEIN URLAUB!

ihr merkt es bereits:
dieses System macht mich aggressiv. sehr aggressiv. da hilft es auch nichts, wenn manche das Eltern-Kind-Kur nennen oder irgendwo Vater-Kind-Kuren angeboten werden. (alles immer mit dem Zusatz: ABER DAS IST KEIN URLAUB!)

ja, was denken denn die Krankenkassen/Gesetzgeber, woher der Stress im Alltag kommt, der die behandlungsbedürftigen Symptome verursacht? weil wir Mütter falsch denken?

ist es das? spreche ich zu wenig über meine Bedürfnisse? das letzte Mal, als ich das versucht habe, wurde ich dafür ausgelacht, weil ich mich selbst um mein Glück zu kümmern hätte und niemanden dafür verantwortlich machen darf (stimmt auch irgendwie…hm). ernähre ich mich falsch? hm, mal nachdenken. ich glaub schon. also, ich weiß es. ja. ich weiß auch, wie es richtig geht! das kann ich jeden Morgen mit den Brotdosen meiner Kinder belegen! nur für mich…naja…da reicht dann die Zeit nicht. Zeit! mein Zeit-Management muss im Arsch sein! daran liegts! soll ich besser vor 6 aufstehen oder nach 22:00 ins Bett gehen? sind die 8-9h Schlaf falsch? oder dass ich arbeite? nehme ich meinen Haushalt zu wichtig? oder Helikopter-Mutter ich zu viel, wenn ich nachmittags Bock darauf habe, mit meinen Kindern zusammen was zu erleben? wisst ihr: die werden so schnell groß…das sagen zumindest die Mütter der großen Kinder. da dachte ich…ach…

was mach ich noch falsch? zu wenig Sport? stimmt! MeTime ist echt meine Achillesferse als Mama von zwei Jungs von 5 und 6. isso. könnte ich bestimmt besser machen. ich könnte meinen Job hinschmeißen! dann hätte ich schlagartig 4h MeTime jeden Tag! oder?
oder ich könnte regelmäßig einen Babysitter buchen! das kostet dann halt jedes Mal je Stunde etwa 10,- und wir könnten die letzten zwei Wochen nur mit dem Taschenrechner einkaufen, aber ich wäre bestimmt viel glücklicher/entlasteter/gesünder. oder?

vielleicht ist es auch meine Einstellung? mein Mutterbild? ist das zu perfektionistisch? also, ich meine, ich nehme (blöd gesagt) meine Adipositas in Kauf, um meinen Kindern geile Brotdosen machen zu können. das ist schon etwas creepy. und ich spiel gern mit den Kindern…hatte ich als Kind zu wenig Aufmerksamkeit? SOLLTE ICH DA MAL HINSCHAUEN in den 3 Wochen Therapie bei irgendwem im irgendwo?

und: was passiert eigentlich, wenn ich zum Kurplan „nein“ sage, nur Massagen und Yoga behalte und keine Therapie machen will? was passiert, wenn eines meiner Kinder aufgrund des ungewohnten Virenspektrums krank wird? was passiert, wenn meine Kinder sich nicht „WIE ALLE KINDER“ in der Betreuung wohlfühlen und lieber bei mir sein wollen? was passiert, wenn wir keine Lust auf Termine haben, weil das Wetter so schön ist und wir so einen tollen Bach gefunden haben?

das Ganze kostet übrigens pflichtversicherte die 10,- Krankenhauspauschale/Tag. 10,- pro Tag. so viel gebe ich zuhause nicht fürs Essen aus…

mein (!) Ziel als Mutter, ist es, selbstbestimmt leben zu können.

nur als selbstbestimmte Mutter kann ich meinen Kindern vorleben, was es heißt, für sich zu sorgen und dass das Leben kein mühseliger Alptraum aus Erwerbsarbeit und Pflichterfüllung ist. ich entscheide für mich, welche Informationen ich aufnehme, ich entscheide, auf welche Menschen ich hören will. ich entscheide, wie ich meinen Alltag gewichte. und ich entscheide, was ich mit meinem Geld mache.

mein Ziel als Feministin ist es, der Gesellschaft aufzuzeigen, an welcher Stelle Frauen nach wie vor benachteiligt werden. dieser Punkt „Mutterschaft“ ist eine solche Stelle, naja, mehr eine Fläche…eine ziemlich weite Fläche. es ist nicht nur so, dass in diesem Land davon ausgegangen wird, dass Frauen grundsätzlich Kinder kriegen. nein, es wird auch davon ausgegangen, dass Frauen nicht entscheiden können, ob sie schwanger sein wollen, dass Schwangere sich erzählen lassen, was richtig und was falsch ist, dass Gebährende mit dem zufrieden sind, was da ist und das Mütter perfekt sein könnten, wenn ihnen jemand erklärt, wie das geht (irgendwo zwischen Rabenmutter und Helikoptermutter).

als Minusch möchte ich einfach glücklich sein können. und zufrieden. und sauer. und traurig. und wieder zufrieden…ohne Filter und Ventil. ohne Unsicherheit. einfach so, wie es kommt. frei von Verbesserungsvorschlägen von außen.

das System „Mutter-Kind-Kur“ lebt von seiner eigenen Ironie.

„es ist keine Frage von gesellschaftlichen Missständen sondern individuelles Versagen.“
„es ist keine Frage von Sexismus, sondern gut gemeinte Hilfe.“
„mach doch ne Kur! da kannst Du lernen, wie Du es besser hinkriegst, nicht so fertig zu sein durch Vereinbarkeit, Care-Work, Sparmaßnahmen, mangelnder Selbstfürsorge (sic).“
„Du kannst es lernen! schreib Dich als Mutter nicht ab! lern Selbstsorge!“ „übernimm Verantwortung für Dich selbst! niemand kann Dir das abnehmen!“
„wir sind alle für uns selbst und für unser Glück verantwortlich!“
„andere haben das schon geschafft! dann schaffst Du es auch!“

…die Anführungszeichen des letzten Absatzes kennzeichnen kein konkretes Zitat. sie kennzeichnen meine Ironie bei der Zusammenfassung dieser Aussagen. ich bin mir sicher, dass ihr alle diese Sätze kennt.

nein, ich will keine Mutter-Kind-Kur. nicht, weil ich „danach“ so stolz darauf wäre, es „allein“ geschafft zu haben, sondern weil ich meine Mutterschaft als etwas verstehe, in das sich kein Therapeut einzumischen hat! nicht aus „privates geht Dich nichts an“-Gründen. aber weil ich eben der Ansicht bin, dass das, was ich erlebe und hier abbilde, nicht mein Einzelschicksal ist sondern gängig. und dass es besser niemand wagen sollte, uns alle in dieser Situation zu pathologisieren!

ich brauch keine Diagnose für meinen Alltag. ich brauche auch kein Aufarbeitung meiner Kindheit.

ich brauche bessere und zuverlässige Ressourcen, eine Haushaltshilfe und einen Rechtsstaat, der den Vater meiner Kinder verpflichtet, wenigstens finanziell für seine Kinder zu sorgen!
ich brauche Solidarität unter Müttern, und wenn es nur die Lotushand eines Gegenübers ist, wenn mein Sohn gerade ausstickt!
ich brauche kinderfreundliche Cafés, Toiletten an Spielplätzen und die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen!
ich brauche verständnisvolle Nachbar*innen und Vermieter*innen! und bezahlbaren Wohnraum!
ich brauche flexible Arbeitgeber*innen!
ich brauche liebevolle Kinderbetreuung und ein gutes Catering für Hortzeiten! ich brauche ein neues Steuerrecht!
ich brauche ein Land, in dem nicht alles, was mit Familie zu tun hat, pauschal genormt oder pathologisiert wird!

ich brauche ein kinderfreundliches, ein mütterfreundliches, ein familienfreundliches Land!

liebe Bettina, ich weiß, Du hast es gut gemeint, mit Deinem Kommentar. dies hier ist meine Antwort auf den Bereich Mutter-Kind-Kur. zu den Ferienerholungswerken: Hessen bezuschusst die nicht.

Liefs,
Minusch

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