diese Sache mit dem krank-sein

ich war noch nie so oft krank wie in dem letzten Jahr. also: ja, ich weiß, dass unter Stress als erstes mein Immunsystem in die Grätsche geht, aber das jetzt ist wirklich arg. und das auf vielen Ebenen.

beruflich ist es so, dass die Verwaltungsfrau, die meine Krankmeldungen entgegennimmt schon Mitleid mit mir hat und mich ermuntert, weiter durchzuhalten, weil es irgendwann besser wird. ich wiederum schäme mich sehr. es ist echt nicht einfach, sich einmal im Monat krank zu melden. ich meine: ich markiere ja nicht. ich melde mich wirklich dann krank, wenn ich spüre, es nicht zu schaffen. wenn ich beispielsweise beim Gedanken an den Weg zur Arbeit in die Knie gehe, wenn ich mich übergeben muss oder wenn ich Kopfschmerzen vom husten habe. aber inzwischen versuche ich schon, zu schummeln und so meine Krankheitstage zu verringern, indem ich eben Überstunden abbaue. ja, wirtschaftlich nicht schlau, aber es fühlt sich an, als hätte ich ein wenig mehr Kontrolle über diese Desasterdays.

körperlich ist es so, dass ich nicht eine sportliche Geschichte länger als einen Monat am Stück mache. kennst Du das? Du fängst mit etwas an und bist stolz, dass Du Dich aufgerafft hast und spürst, wie es Dich stabilisiert und dann näherst Du Dich dem ersten Trainings-Plateau, die Erfolge kommen nicht mehr so schnell, aber Du bleibst zuversichtlich…und wirst krank. und den ersten Tag denkst Du: „ach, so eine kleine Pause“. den zweiten Tag ärgerst Du Dich ein bißchen. den dritten Tag setzt der Frust ein und am vierten die Resignation. und das immer wieder und wieder und wieder…mein Körper ist irgendwie meiner, aber irgendwie auch nicht, wie es scheint. zumal diese häufigen Infekte auch Auswirkungen haben. mein Magen ist empfindlich wie noch nie. *Augenrollgeräusch*
Quintessenz: sportlicher werde ich so zumindest nicht.

sozial ist es so, dass es mir schwer fällt, etwas zu planen. ich habe tatsächlich Planungshemmungen. ich habe ständig das Gefühl, dass das ohnehin nichts wird. und es war ja auch schon oft so. ich freue mich auf etwas und plane diese vorfreudefähigen Ereignisse immer wieder, damit ich mich ja auch da ausbalanciere und ein Gegengewicht zu all den Tiefschlägen habe. aber sie platzen in über 50% aller Fälle. Freunde verliere ich dadurch nicht. die, die ich habe, sind ohnehin so weit weg, dass ich sie eigentlich nie sehe. aber all die anderen sozialen Kleinigkeiten, naja, die werden auch nicht leichter, wenn wir ständig krank werden.

ja, sicher ist es möglich, dass ich Infekte nicht auskuriere. das läge dann daran, dass ich einfach nicht genügend Ruhe habe, um mich wirklich zu spüren. wenn ich zuhause zwei fitte Kinder habe, tja, dann ist das mit der Ruhe ein frommer Wunsch. ja, ich mache an diesen Kranktagen bergeweise Ausnahmen. die Jungs dürfen auch mal einen ganzen Nachmittag lang Fernsehen, damit ich neben ihnen auf dem Sofa liegen und ruhen kann. aber wenn Du gefühlt jede Woche so einen Tag hast, nagt in diesen Momenten einfach das schlechte Gewissen. und ich halte das nicht mal für falsch. ich wollte nie eine Fernseh-guck-Mama sein. und ich bin es, weil ich ständig krank bin und die Kraft für mehr zumindest dann kaum reicht.

ja sicher versuche ich, die zwei Jungs auch zu verabreden. aber das ist ja kein Puzzlespiel, bei dem ich nur lange genug suchen muss (wofür ich weder Zeit noch Nerven haben) um die passenden Playdates zu finden. Babysitter in dem Umfang kann ich einfach nicht bezahlen. und ich wüsste auch nicht, welche Studis in dem Umfang Zeit hätten. und akut Verabredungen finden…ey, es fällt mir auch so schon schwer, wieder und wieder um Hilfe zu bitten und erst recht dann, wenn es mir nicht gut geht.

wenn ich jetzt noch erwähne, dass ich im letzten Jahr zwar zig Mal beim Hausarzt war um Krankmeldungen zu bekommen aber nicht einmal beim Zahnarzt oder der Gyn, dann überrascht das sicher auch niemanden. es ist einfach nicht möglich, sich zu organisieren mit zwei kleinen Jungs, die vielleicht auch mal gefördert werden sollten, zu arbeiten, den Haushalt zu machen und sparsam zu sein. wie heißt dieses Dreieck? Du kannst nur zwei auswählen von schnell oder gut oder günstig. alles drei auf einmal geht nicht. so ähnlich ist das auch beim Familien.

allein – gut – sparsam = die drei Punkte gehen nicht gleichzeitig!

allein + gut geht, wenn Du Ressourcen hast, die Dir erlauben, Dienstleistungen einzukaufen oder Essen zu bestellen, wenn Du zu erschöpft zum Kochen bist. dann kannst/musst Du nicht sparsam handeln.

gut + sparsam geht, wenn Du ein Super-Netzwerk hast, dass Dich unterstützt, wenn Du Dich verspätest oder mal raus musst oder am Wochenende noch schnell den Flohmarkt mitnehmen möchtest, um die nächste Saison abzudecken. das schließt eben aus, dass Du alleine bist.

allein + sparsam geht auch, dann musst Du eben viel Zeit aufwänden, um einzukaufen und immer nur das Nötigste zu machen. dann ist es eben nicht gut.

in aller Regel ist es wahrscheinlich so, dass Du nicht vor der Wahl stehst, was Du gern hättest. Du plumpst in das neue Leben als alleinerziehender Mensch, schaust den angenommenen Freund*innen beim gehen zu und orientierst Dich und bist dann schwuppdiwupp bei allein + sparsam.

ich hab gestern auf twitter gepostet
„es ist UNMÖGLICH, alleinerziehend und mit ausschließlich sporadisch-struktureller Unterstützung gut (!) für sich selbst zu sorgen“

der Tweet hat in 24h 139 likes bekommen. es gab auch Widerspruch. einen einzigen. das wars. ich denke darüber nach. angesichts einer Welt, in der jeder alles sein kann (haha), mutet es seltsam altertümlich an, dass Mütter, die sich für eine Trennung entscheiden, damit leben müssen, dass Verzicht mehr Raum bekommt als Glück. wir wissen alle, wie das mit dem zufrieden sein geht. wir kennen Mechanismen, uns selbst gut zu tun. aber niemand sagt uns, was wir machen, wenn davon nichts mehr möglich ist. oder fast nichts. gerade dann, wenn der Stress so hoch ist, wie sonst nie, sind die Möglichkeiten, sich selbst zu helfen, quasi streng limitiert.

mein Vater sagte mal: „Schon komisch, wenn wir jung sind und eine Familie gründen brauchen wir Geld und haben es nich. und wenn wir alt sind, haben wir das Geld, und brauchen es gar nicht mehr so dringend wie früher.“ und ich gebe ihm Recht. er bezog sich vor allem auf sein Auto und den Platz darin, etwas, was für mich unerschwinglich wäre, aber es gilt meiner Ansicht nach auch in allen anderen Lebensbereichen.

keine Sorge, ich rede nicht davon, allen Menschen einen luxuriösen Lebensstil zu ermöglichen (haha) und ich kenne auch den Begriff Altersarmut. aber wenn das eigene Netzwerk nicht weit und belastbar genug ist für Hilfe, dann wäre doch ein virtuelles Budget für Dienstleistungen toll. ich hätte schrecklich gern einmal im Monat Hilfe im Haushalt. oder einen Babysitter für mehr als 2h. oder jemanden, der mir hilft, das Hochbett festzudübeln.
bei all den Nachbarschafts-Tauschgeschäften, die es ja schon gibt, gerate ich schnell in Panik, weil ich dauernd krank werde und schon ständig meine Deadlines verschieben muss. ich weiß nicht, was ich da anbieten kann, weil ich nach wie vor mit dem Alltag hadere und meine Routinen immer wieder neu suchen muss. dabei würde sehr helfen, wenn ich wüsste, dass ich feste Zeiten zum Durchatmen einrichten kann. und das nicht nur 30min zwischen meinem letzten Bissen Mittagessen und dem Losflitzen zum Kindergarten. wenn ich das fest planen könnte, könnte ich darauf etwas aufbauen, was mir hilft, mich im Alltag zu orientieren. ich könnte meine Kraft anders einteilen und mich besser entspannen, gelassener damit umgehen wenn mal etwas schief geht und bräuchte nicht auf den Zufall warten. ich bekäme mehr Kontrolle über mein Leben und würde damit hoffentlich auch letztenendes meine Gesundheit stabilisieren. das würde mich zu einer besseren Mutter machen. und so würden meine Kinder davon profitieren.

ja, das sind meine Gedanken dazu. ich möchte nicht zurück. mein Leben ist, wie es ist. aber ich werde nicht stärker dadurch, dass es schwerer wird. wer sowas predigt, hat definitiv keine Ahnung wovon er/sie redet. was uns nicht umbringt, macht uns nicht nicht einfach härter. es macht uns müder, infektanfälliger, gestresster und skeptischer. nichts davon fördert Gesundheit. da läge es doch nahe, dafür zu sorgen, dass all die Stressfaktoren an Schärfe verlieren.

meine Vorschläge:

virtuelles Familien-Budget, dass es den Familien erlaubt, hilfreiche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen
Familien-Arztpraxen, die eine Familie als System behandeln und entsprechende Therapien verschreiben können
Lohnfortzahlung auch im Falle kranker Kinder, um den Familien die Rennerei, den Zeitversatz der Zahlung und den Lohnverlust zu ersparen
ambulante Begleitung VOR Kuraufenthalt und damit Anerkennung der Schwächen des Systems (und nicht Anleitung Einzelner, sich doch besser damit zu arrangieren, dass eben das, was nötig wäre, nicht möglich sein soll)
Familien-Ammen, die nicht vom Jugendamt geschickt sind aber als Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen und dabei unterstützen, notwendige und gewünschte Hilfen anzuleiern
Bündelung der möglichen Hilfen durch eine Vereinheitlichung der Anträge, damit bedürftige Familien nicht bei 3 Ämtern blank ziehen müssen, sondern mit dem Bescheid der einen Stelle auch an anderer Stelle einen Antrag stellen können. was im Rahmen des BuT möglich ist, sollte auch im Rahmen von Wohngeld und Kinderzuschlag möglich sein, solange wir keine Debatte über eine Kindergrundsicherung haben.

achja: und es wäre nur angemessen, wenn den Menschen, die sich um alles alleine kümmern, ein Ausgleich finanzieller Art und in Form von derzeit noch diskussionsfähigen Rentenpunkten zugestanden werden würde. es kann nicht sein, dass die Person, die sich alleine um das Wohl der Kinder kümmert, die Kinder wirtschaftlich, seelisch und körperlich absichert, schlechter gestellt ist, als ein Mensch, der sich dieser Verantwortung entledigt. dass beispielsweise ein gesunder, erwachsener, gut ausgebildeter Mann Kinder zeugen und dann ohne diese ein neues Leben anfangen kann, ohne weiter behelligt zu werden, will mir nicht in den Kopf. die wirtschaftliche Bankrott-Erklärung darf nicht das Ende der Fahnenstange sein, wenn dem gegenüber steht, dass ein anderer Mensch sich in allen Lebensbereichen selbst herausfordert, um die gemeinsamen Kinder zu schützen.

die Liebe von Eltern zu ihren Kindern ist nicht nur eine private Entscheidung sondern auch die Voraussetzung dafür, dass Familien Schutz zugestanden wird.

wenn Familien dieser Schutz zugestanden wird, dann muss dieser Schutz umfänglich sein und darf sich nicht darauf beschränken, ein unzulängliches Flickwerk zur Verfügung zu stellen. dieses Flickwerk führt zu Verunsicherung, Irritation und Fehlinformationen sowie Fehlentscheidungen. wir Eltern können keine Absicherung einfordern sondern allenfalls Hilfe beantragen. wenn Familien Schutz zusteht, passt dieser Vorgang nicht in das dem zugrunde liegende Paradigma.

dass es so viele Trennungen auch von Elternpaaren gibt zeigt, dass die betreffenden Menschen Verantwortung für sich übernehmen und anerkennen, dass es nicht das Beste für die Kinder ist, wenn ein Paar bestehen bleibt, das nicht gut miteinander umgehen kann. diese Erkenntnis ist wertvoll und sollte gestützt werden! sämtliche Berater*innen in diesem Bereich sind sich einig, dass für Kinder eine Trennung weniger Schaden bedeutet als ein Leben in einer destruktiven Familie. und auch nach einer Trennung sind alle Menschen, die sich in Liebe einander zuwenden, Familie und brauchen Schutz. warum trägt die Politik diesem verantwortlichen Übergang und Umgang nicht Rechnung?

meiner Ansicht nach, können wir uns nicht leisten, so viele Einelternfamilien derartig zu übervorteilen. weil die Kinder, die daraus erwachsen, Teil unserer Zukunft sind. diese Kinder wachsen mit einem Rucksack voller Traurigkeit auf, weil so vieles nicht möglich ist, weil Armut bedrückend ist, weil ihre Eltern etwas schaffen wollen, was nicht geht. sicher werden sie sensibel sein für die Grenzen und Möglichkeiten anderer Menschen. aber Tatsache ist eben auch, dass beispielsweise Depression erblich ist und Kinder depressiver Eltern eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zur eigenen Erkrankung haben. was in der Behandlung wieder teuer wird. was spätere Beziehungen belastet.

das alles geht mir durch den Kopf, weil ich zu oft krank bin. weil das so eine Sache ist. weil es mir damit nicht gut geht. weil ich gerne mehr von diesem Leben mit meinen Kindern hätte. die zwei sind nur einmal klein, weißt Du? die Kindheit ist endlich. ich beanspruche nicht das Beste. aber etwas Besseres als das, was mir und vielen anderen alleinerziehenden Müttern zugestanden wird, schon.

Liefs,
Minusch

2 Antworten auf „diese Sache mit dem krank-sein

  1. Ich muss mich bedanken für Deinen echt guten Text, Du bringst die Misere auf den Punkt. Ich sehe ein gesamtgesellschaftliches Problem, vor dem zu viele Menschen, allem voran die aus der Politik, die Augen verschließen und meinen, es ginge sie nichts an, nur die Betroffenen selbst. Kinder sind unsere Zukunft und leider über Umwege auch unsere Altersversorgung. Es kann nicht sein, dass gerade die, die am meisten leisten (berufstätige Alkeinerziehende) am meisten Nachteile haben. Ach, das Thema ist so komplex wie ungerecht. Geld kommt meist zu Geld und dies wird in diesem Land auch noch deutlich unterstützt. Und wen interessiert’s wirklich, wenn die welche die Verantwortung tragen für die Kinder und alles, irgendwann nicht mehr können? Oder Frauen sich getrennt haben? Selbst Schuld, heißt es dann oft. Fast keiner schaut mal genauer nach. Das man sich mit Kindern nicht leichtfertig trennt, dass es triftige Gründe gibt. Und „hättest halt keine Kinder gekriegt!“ Klar, leg Dir Deine Rente doch bitte komplett selbst zur Seite…Ich kann dazu nur regelmäßig kotzen. Und dabei geht’s mir noch recht gut mit ganz gutem, mittleren Beamten-Einkommen und einem Vater, der sich kümmert. Aber das mit dem ständig krank kenn ich noch, und ich hab mich damit sehr durchgequält.

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