Sextalk angstfrei

achja, achja. Sexualität. es ist kaum möglich, einfach darüber zu plauschen und zu quatschen. weder zuhause noch im Internet. zwangsläufig hat jeder eine Meinung, ein gelungenes und viele misslungene Beispiele und irgendwie weckt das Thema immer wieder gern den advocatus diabolus. wenn sich dann in der Semi-Öffentlichkeit noch die Chance ergibt, eine politische Lanze zu brechen, ach herrje…dann haben wir einen verwursteten Salat der eigentlich pikant sein sollte und jetzt zermatscht und dazu viel zu süß ist.

ich liebe dieses Thema sehr. Sex. ich hab das schon Mal erwähnt: Solo-Sex ist progressive Muskelentspannung. unübertrefflich. wer es regelmäßig macht, tut seinem Entspannungs-Instrumentarium wirklich was Gutes. Sex als Paar hat zusätzlich noch den Spielraum die Nähe zu verstärken (ja, auch beim Sex spielt Oxytocin ne Rolle). Sex in der Gruppe kann Dich komplett aus allem rausreißen, was Dich sonst so nervt. und Sex mit Fremden kann so aufregend sein, dass es vielen Menschen leichter fällt, ONSs zu haben als eine Beziehung zu führen (niemand WILL natürlich ONSs! das ist ja total klar…).

gleichzeitig wird an den sexuellen Präferenzen Deine eigene Andersartigkeit sichtbar. ich benutze dieses ziemlich ekelige Wort, weil Sex immer einen Tabubereich betrifft, komplett privat ist und trotzdem andere brennend interessiert, vor allem, wenn es anders ist (Voyeur*in ist natürlich auch niemand…klar…ist ja privat…wer guckt da schon zu…und Pornos: pfui Spinne! alles gelogen! wer sich das anguckt hat doch echt ein Problem und weiß nicht, wie echte Körper aussehen!). denn wenn da ein Mann irgendwie zu weiblich aussieht oder zwei Frauen Händchen halten, wenn ein Mensch irgendwie nie eine Partnerschaft eingeht oder diesen komischen Ring mit dem Miniring dran trägt, dann ist das doch anders als das, was unsere Generation im Bio-Unterricht gelernt hat. und dann interessiert uns das! auch wenn wir gar nicht mitmachen wollen. oder erst recht, wenn wir gerne mitmachen würden, uns aber nicht trauen, weil das unsere bisherigen Entscheidungen VIELLEICHT in Frage stellen würde.

warum redet niemand straight über das, was Sex ist? oder sein kann? weil es noch nicht geht! weil sowohl Sender als auch Adressat eine sexuelle Entwicklung hinter sich haben und noch machen und dazu eingebettet in einen Normenkatalog leben. und selbst wenn wir frei reden können, weil uns gegenüber ein vertrauter Mensch sitzt, riskieren wir mit dem Abstieg in diese Untiefen der Lust zu viele Informationen preis zu geben oder die andere Person sogar damit zu belasten. was ja passieren kann, da der Teil der Frauen, die schon sexuelle Gewalt erlebt und vielleicht nicht bearbeitet haben ganz schön groß ist.

klar gibt es inzwischen Gruppen von Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, selbstbestimmt zu vögeln. das sind dann Menschen, die auch sagen, dass sie selbstbewusst sind. selbstbewusste Menschen haben selbstbestimmten Sex. aber was das genau heißt, beantwortet keine*r.

ich versuch’s mal subjektiv:

wirklich selbstbestimmten Sex habe ich, wenn ich masturbiere. dann weiß ich, wo ich welche Stimulation haben mag und kann die selber steuern. mit oder ohne Dildo, mit oder ohne Porno, schnell, langsam, cozy oder fester. ich habe die volle Kontrolle über meine Körperspannung, meine Mimik, meine Lautstärke. das ist völlig selbstbestimmt. oder eben auch gar nicht bestimmt sondern Teil eines vertrauensvollen Flows mit mir selber. niemand mischt sich rein.

wenn ich Sex mit einem anderen Menschen habe, dann will ich die Lust meines Gegenübers spüren, weil mich das anmacht. dann lote ich aus, was er oder sie mag. kleine Fragen, Berührungen…bei ganz viel innerer Klarheit können beide Seiten aussprechen, was sie gut finden und das, was sie echt gar nicht haben wollen, und dann entscheide ich, was davon ich machen kann oder möchte oder will. oder wahrscheinlich schalte ich den Kopf aus und mache einfach mit. manchmal ist Alkohol im Spiel, dann passiert eher was, was ich nicht so scharf finde, aber dann in Kauf nehme, weil wir eben nicht drüber gesprochen haben. oder ich bin total verknallt, auch dann sinkt die Notwendigkeit, erstmal Grenzen hochzuziehen. oder mein Gegenüber kriegt strahlende Augen, wenn er oder sie von etwas berichtet, was ihn oder sie total scharf macht. das wirkt sich auch auf mich aus. dann probiere ich auch eher etwas aus, was vorher nicht in meinem Sex-Katalog stand.

es gibt auch Situationen, in denen es erregend ist, zu etwas gezwungen zu werden. oder selber Zwang auszuüben. es kann so aufregend sein, mit Seilen zu spielen oder ganz kurz zu weit zu gehen.

worüber reden wir also, wenn wir von selbstbestimmter Sexualität reden? wie genau wissen Menschen, was sie mögen? wie genau können sie es wissen, wenn sich das Vorliebenspektrum auch mit dem Gegenüber und dessen Vorlieben verändern kann? wie frei können wir überhaupt ausprobieren, was uns Spaß macht um dann erklären zu können, was wir für selbstbestimmt halten?

ja, klar, es liegt in unseren Möglichkeiten, unsere Sexualität zu entwickeln. nur eingebettet in Debatten über rape-culture, pornographie, Missbrauch, Abtreibung, Kinder als Armutsriskio, Pille danach, Schönheit, 50 shades of Grey, wahre Liebe, Ehebruch und Betrug…ja, da wird’s irgendwie trocken. und ich denke nicht nur bei mir.

ich spüre durch meine feministische Haltung auch den Auftrag, mich immer wieder zu positionieren. nur ist meine Position eben meine und somit angreifbar. auch von Feministinnen. wenn ich zu viel preisgebe, macht meine Position vielleicht sogar Angst, weil Sexualität in all seiner Bandbreite eben nicht akzeptiert ist als etwas, was Menschen gut tut, also getreu dem Motto „pervers ist es nur, wenn keiner mitmacht“. sondern Sexualität unterliegt noch immer verschiedenen Kontrollmechanismen. und auch im Namen feministischer Aufträge wird an der Sexualität rumgedoktert. das spürst Du spätestens, wenn Du schreibst, dass Du Pornos als Stimulation magst und dann die Welle an Antworten dazu abkriegst. und die Welle ist berechtigt. die Pornoindustrie ist ein sexistischer und rassistischer Scheißhaufen. aber das heißt nicht, dass Pornos Schaden anrichten, sondern eben die, die von der Industrie profitieren.

solange Menschen anderen Menschen vorschreiben, was gute Sexualität ist, wird es Menschen geben, für die der Begriff „sexuelle Selbstbestimmung“ bitter klingt. solange Menschen bewerten, was wann wo freiwillig getan wird, wird es bitter bleiben, freiwillig etwas zu tun, was andere abwerten. und angesichts unserer Lebensgeschwindigkeit, dem Leistungsdruck, Konsequenzen aus Familiengründung und Angst vor Armut, bin ich dankbar, dass Menschen überhaupt noch Sex aus Lust haben.

jede Studie dazu hat das Problem, dass Menschen nicht einfach so mal eben über diesen Bereich ihres Lebens sprechen. je nachdem wer fragt und was vorher war, in meinem Fall auch eindeutig abhängig von meinem Zyklus, fallen Antworten anders aus. ich halte es für müßig, da überhaupt Studien anzufangen. spannender wäre für mich, an einer sexuellen Utopie zu arbeiten. an einer Vision von Freiheit und Vertrauen. Kinder, die an ihren Genitalien spielen, sollten Orte dafür haben, es geschützt tun zu können. auch Jugendliche sollten Orte haben, an denen sie fragen können, ob das, was sie im Porno gesehen haben, überhaupt schön ist. Jugendliche sollten sich ausprobieren können und sich dabei in Sicherheit fühlen. alle sollten mit der Geschlechtsreife gezeigt bekommen, dass Sexualität für weibliche Körper drastischere Konsequenzen haben kann und generell nicht missbraucht werden darf. alle sollten lernen, dass Selbstschutz gesellschaftlich anerkannt ist, dass Menschen „nein“ sagen und trotzdem ein zweites Date haben können. Menschen sollten in der Lage sein, ihre Gier reflektiert zu betrachten und so vorher zu erklären, dass sie gerade flirten, weil sie Lust auf Sex mit dem Gegenüber haben damit die andere Seite entscheiden kann, ob sie das auch will oder ob es unter den Bedingungen unangenehm ist.

um das hinzubekommen, sollten aber erstmal wir gerade Erwachsenen in der Lage sein, über Sexualität zu sprechen ohne zu bewerten. und davon sind wir tatsächlich noch sehr weit entfernt. die Bewegung ist da. die Richtung weist in die Freiheit. aber wenn mein Partner mich anstrahlt, weil ich sagen kann, was ich gut finde, aber seine bisherigen Flirts dazu nicht in der Lage waren, dann weiß ich, dass dieses Thema noch Raum braucht. und die Menschen brauchen in diesem Raum noch Schutz. und es ist nichts dabei, das anzuerkennen und es hat nicht viel mit Selbstbewusstsein zu tun sondern mit Entwicklung, Liebe zu sich selbst und Mut. wer etwas zu verlieren hat, und sei es nur der eigene Blick auf sein Leben, der/die schweigt. auch mit der Konsequenzen, die eigene Entwicklung zu behindern.

die online-Debatten zu dem Thema gefallen mir gut. der Ton dieser Debatten häufig nicht so sehr. es ist ein emotionales Thema das mit der eigenen Betroffenheit natürlich 100% ermöglicht, sich zu beteiligen. das ist ziemlich gut. wirklich fantastisch wäre darüber hinaus, wenn diese 100% jedem einzelnen Prozentpunkt Raum lassen und so das Spektrum gemeinsam tragen. wenn niemand aus diesem Spektrum mit dem Gefühl der reaktivierten Scham aus der Debatte heraus geht. dazu braucht es Mut. aber: he, wir haben schon ganz andere Entwicklungen geschafft. und je mehr Leute mutig sind, desto weniger Mut braucht es für den/die einzelne*n, darüber zu sprechen.

also: für Mut und Liebe!

Liefs,
Minusch

Eine Antwort auf „Sextalk angstfrei

  1. Wie wäre es eigentlich, logisch zu wissen, was man beim Sex macht und warum man es macht, und zwar so, dass man keine ( z. B. schwangerschaftliche) Risiken und Nebenwirkungen der selbstzerstörerischen Art erlebt? Hier findest du die Sexualität als Lebenselixier: http://upvs.wordpress.com
    Diese Seite aufmerksam zu studieren, das rate ich dir.

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