Zeitfragen

diese einkehrende Ruhe ist ein Segen. ich weiß nicht, ist sie Ergebnis der Zeit, Zufall, Auswirkungen meines Handelns oder nur darauf zurückzuführen, dass er nicht mehr hier ist?
das erste Jahr rundet sich in etwa anderthalb Monaten. dann werden wir drei alles allein erlebt haben (bis auf k2s Geburtstag).

ich habe schon früh bemerkt, dass ich mich nur noch auf mich verlassen sollte, und inzwischen bin ich diesem Zustand und habe für mich abgenickt, dass die hinterlassene Wunde reicht, um Partnerschaftlichkeit für die nächsten 2-3 Jahre auszuschließen. ja, ich fühle mich oft buchstäblich einsam. jetzt zum Beispiel würde ich viel lieber mit einem anderen Menschen am Tisch sitzen und leise Scrabble spielen. aber da müsste schon jemensch sehr offenes und geduldiges vorbeikommen, hier in Darmstadt, damit das geht. jemensch, der/die auch nichts zu verlieren hat, freiwillig da ist und nicht aus meiner oder der eigenen Notwendigkeit heraus. eine Person, die damit leben kann, dass eine Basis meiner Seelenruhe ist, dass die Kinder und ich in einem Bett zusammen schlafen, in das er/sie nicht reinpasst. und dann wäre da noch der Wunsch nach intellektuellem Austausch, Freiraum, Leidenschaft für Musik, Abenteuerlust und Freude am Essen…es wäre wichtig, dass dieser Mensch meine Sprache spricht und einen zumindest ähnlichen Weg eingeschlagen hat was Herzensbildung angeht oder meinem Weg mit Respekt und Interesse gegenüber tritt.

jaja, ich weiß selber, dass ich mich im Raum der Utopie bewege. der erste, mit dem ich das versucht hatte, bei dem das alles zutraf, der sogar meinen Ordnungsfimmel hatte, bezeichnet mich heute als Fehler. damals wollte er seine Frau ganz dringend verlassen und fühlte sich mit mir so lebendig wie nie zuvor. und die eigenen Kinder hätte er mitgenommen, da die Frau eh mit allem überfordert gewesen wäre. wir hatten drei sehr schöne Tage zusätzlich zu zwei Monaten stundenlangen Telefonaten und glühenden Nachrichten. und der Sex war bemerkenswert schön. aber heute bin ich ein Fehler. etwas, was ich niemals über einen Menschen denken würde. das hat gesessen.

der zweite, der als bester Freund unter dem Radar durch gekommen ist, bezeichnet mich heute als Bedrohung. auch diese vielen Worte wie „endlich lebendig“ und „ich wusste nicht, wie sehr ich das vermisst habe“. aber auch „ich will sie nicht verlassen“. ich selber bin da so reingeplumbst, und ich wollte es gar nicht so, dass jemand hätte verlassen werden müssen. Musik-hören und lachen hätten mir schon gereicht. ihm nicht. deswegen darf ich ihn nicht mehr sehen. das schmerzt noch immer.

der dritte und der vierte, die es versucht haben, obwohl ich es gar nicht wollte, dürfen sich nicht mehr bei mir melden. sie dachten, entgegen meiner Ansage wäre hier etwas möglich, was ich gar nicht will. ja, es ist schön, dass es die beiden gab. und für einen kurzen Augenblick war ich verführt, mich auf die Nähe zu verlassen, mich nicht mehr alleine fühlen zu müssen. Himmel, das wäre mir auch was wert gewesen. nur der dafür zu zahlende Preis ist trotzdem zu hoch. meine Aufmerksamkeit für die Kinder und mich selbst nimmt so viel Raum ein, dass ich nicht noch für einen anderen auf demselben level aufmerksam sein kann.

das alles macht mich zwar etwas traurig aber auch ruhig. es ist nicht nur so, dass ich bestimmte Vorstellungen von Partnerschaft habe. ich habe auch Vorstellungen davon, wie ich leben möchte und was mir wichtig ist und daran lese ich meine Genesung ab. ich kann wieder spüren, was mir schadet, was mir gut tut. ich kann mir etwas vorstellen und etwas nicht. ich bin vielleicht bei mir angekommen. ganz sicher kann ich das erst in ein paar Monaten sagen, wenn ich zurückschaue. aber es ist jetzt gut.

meine Idee von ein paar guten Freunden entwickelt sich ganz eigen und ich taste darin herum. ich trenne Sexualität von Liebe und habe so ab und zu die Möglichkeit, auszubrechen. jemanden für eine Affäre zu finden ist leichter als Freund*innen in der Nähe. so ist alles, wie es ist.

die Kinder und ich werden als Dryade bewundert für unsere Ruhe und unser Miteinander. wir leben eben als Team. alles andere würde bedeuten, dass ich noch mehr verzichten muss, und das raubt Ressourcen. der Weg entstand buchstäblich beim Gehen und durch den Teamgedanken sind wir immer irgendwie verbunden und teilen viele Erfahrungen. egal ob im Urlaub, auf Konzerten, beim Festival, auf Geburtstagen: wir sind zu dritt (außer auf Kindergeburtstagen…da lass ich zwei von uns echt gern rausschmeißen). ich wurde schon dafür bewundert, so viel mit den Kindern zu machen, dabei ist der Kern dessen egoistisch: ich gehe lieber etwas kürzer auf ein Konzert als gar nicht. ich kalkuliere lieber haushaltsnahe Tätigkeiten im Urlaub ein, als gar nicht zu fahren. und das begrenzte Budget bestimmt den Rahmen. so ist unser Leben.

aber all das hat mir das Gefühl zurückgegeben, mein Leben selbst bestimmen zu können. endlich. nach 6 Jahren Fremdbestimmung bin ich jetzt auf einem level, auf dem meine Sehnsucht wieder zählt. und ich werde von niemandem daran gehindert, ihr zu folgen. das ist sehr sehr wertvoll.

wenn ich zurückschaue, erinnere ich mich an ein emotional turbulentes Jahr. an so viele Gedanken und Fragen und Worte. an Schmerzen und Zweifel und Angst. aber auch an das tiefe Glück, trotz meiner Einsamkeit nicht verloren und allein zu sein. an wunderbare Momente, zärtliche Überraschungen und Unterstützung. an kluge Telefonate, an prickelnde Begegnungen, an übergeschnapptes Lachen und an leise Träume. dieses Jahr war also irgendwie doch wie ein Jahr in anderen Familien. aber in der Intensität hochgeschraubt auf ein level, das (bitte) nicht dauerhaft so bleiben soll.

ich bin wieder auf meinem Pfad. äußerlich nicht mehr ganz der Pfad, den ich mal hatte, aber innerlich eine 2.0-Version davon. ich verbinde in mir meine Aspekte und trete damit aus mir heraus. es ist nur eine Frage der Zeit. so vieles ist eine Frage der Zeit. und manchmal ist es auch einfach nur die Weigerung, den Opferstatus, der mir ins Gesicht geprügelt wurde, zu akzeptieren. ich akzeptiere ihn nicht (mehr). und die nächste Person, die mich eines Tages vielleicht schlagen will, wird sich wundern: der Großmeister sagte, ich sei sehr gut. also ist es auch hier nur eine Frage der Zeit, bis mein Körper schon vor meinem Kopf weiß, dass mir nichts mehr passieren kann. nur eine Frage der Zeit.

liefs,
Minusch

4 Antworten auf „Zeitfragen

  1. Ach Minusch – hätte mans Dir oder mir vorher gesagt, hätten wirs doch nicht geglaubt. Ich hasse Wege, die das Ziel sein sollen, aber am Zwischenziel gefällts mir heute recht gut.
    Bisou
    r.

    1. es geht ja gar nicht ums glaube…es geht ums Aushalten.
      das Aushalten ist blöd, weil alle möglichen Maßnahmen zur Linderung für einen Menschen allein gedacht sind und nicht für einen Menschen + X.

      ein grober Denkfehler im System, wie ich finde. 🙂

      Bisou

  2. Ein guter Zeitpunkt für eine kurze Rast, ein Innehalten auf eurem Weg. Nach diesem turbulenten Jahr die richtigen Wegweiser gefunden, denke ich beim Lesen und drücke meine Daumen fest für euch. Danke fürs Aufschreiben deiner Gedanken, so viele anregende und weise.

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