ach, Bahn

Guten Morgen!

wir waren weg. bis gestern. jetzt sind wir wieder hier und dank der 10,5h Heimreise auch schon angekommen. reisen mit dem Zug ist zwar zügig aber irgendwie auch ruhig. meistens. also innerhalb unserer Familie. aber von vorn…

aus den verschiedensten Gründen wollte ich mit den Kindern und dem Zelt im Zug nach St. Peter-Ording.

– 1 ich wollte hier raus (aus Erinnerungen und Alltag)
– 2 ich wollte nicht 6-8h Autobahn plus Stau plus Sanifair-Bons sondern sitzen und aufs Klo on demand und ich finde den Gedanken, CO2-zärtlich zu reisen total schön
– 3 ich wollte ans Meer
– 4 ich wollte mich auskennen (negative Überraschungen minimieren)
– 5 ich wollte Abenteuer
– 6 ich wollte das, Geld, das wir hatten, in das größtmögliche Glück investieren

zu allen diesen Punkten möchte ich Beiträge scheiben. mal gucken, ob ich das schaffe bis Montag die Schule wieder losgeht, denn es ist so viel in und um uns passiert. und ich möchte diese Gedanken so schrecklich gern teilen. sie sind mir sehr wertvoll.

aber dringend beginnen möchte ich mit Punkt 2:

ich wollte nicht 6-8h Autobahn plus Stau plus Sanifair-Bons sondern sitzen und aufs Klo on demand und ich finde den Gedanken, CO2-zärtlich zu reisen total schön

Liebe Bahn,

nachdem ich mich eine Woche lang auf die zwei Wochen Zelturlaub in St. Peter-Ording vorbereitet hatte (wirklich alles (!) an Gepäck wieder auspacken, was irgendwie entbehrlich wäre, damit ich alles andere auf meinem Rücken und in einen Bollerwagen verpackt bekomme), konnte ich das Losreisen richtig genießen. ich hatte vorher nach Bollerwagen-in-der-Bahn-Informationen gesucht, und da Junggesellenabschiede sowas mitnehmen dürfen und Gepäck ja kein Problem ist (der Bollerwagen war ja quasi unser Gepäck mit Rollen dran) dachte ich mir: das wird schon gehen!

die Rollen am Gepäck waren auch wirklich nötig, denn als der IC am Montag in den Darmstädter Hbf einfuhr, bemerkte ich nach Stillstand des Zuges die umgekehrte Wagenreihung und musste mit Bollerwagen, 68l-Trekkingrucksack, Handgepäck und zwei aufgescheuchten Kindergartenkindern das komplette Gleis entlangrennen, um überhaupt einsteigen zu können. ich hatte mich nämlich am Zugende zum Warten aufgestellt in der Annahme, das Fahrradabteil sei dort. direkt neben der ersten Klasse, für die wir Tickets gehabt hätten (juhu, Frühbucherrabatt! ich hatte gehofft, meinen Kinder und mir Komfort damit zu erkaufen).
während wir auf dem Gleis am Zugpersonal vorbeihechteten und ich ein „warten Sie bitte auf uns“ keuchte hörte ich das ermunternde „dann beeilen Sie sich auch bitte“ von der einen Bahndame und fühlte mich sofort verstanden. und beeilte mich.

glücklicherweise stand ein tatenloses Paar am Zuganfang und half uns mit dem Einstieg (ein voller Bollerwagen durch eine schmale Tür mit 3 Stufen ist schon Kirmes für die Nerven). und dann standen wir in Sicherheit. im Zug. keuchend. etwa 10min lang. die Anerkennung der zwei Radfahrer war uns gesichert. ich schloss den bremsenlosen Bollerwagen sicherheitshalber an der freiesten Stelle an, packte die Kühltasche mit dem Proviant für 9h Zugreise und dirigierte meine Kinder durch den Zug…aber nicht bis zu ersten Klasse, weil die eben nicht direkt neben dem Fahrradabteil war, wie auf dem Wagenstandsanzeiger angegeben. wir fanden aber ein unreserviertes Abteil in der zweiten Klasse und besetzten eben dieses…

eine wunderbare Art zu reisen. ab und zu setze sich wer zu uns und ich plauderte. die Kinder konnten die Vorräte essen. nach drei bis vier Gängen fanden sie das Klo alleine und niemand störte sich an dem Bollerwagen im Fahrradwagen.

in Husum halfen uns Fahrradfahrer*innen beim Aussteigen. hach, Welt, Du bist so freundlich, wenn ich Dich um Hilfe bitte. das war wirklich toll. Bollerwagen im Fahrradabteil ist ein prima Idee.

in Husum war dann leider der Aufzug vom Gleis kaputt. aber auch da halfen zwei zufällig rumstehende Bahnangestellte des Konkurrenzunternehmens (sie betonten das und hiermit erwähne ich das explizit) lachend dabei, den Bollerwagen eine Treppe runter zu tragen. der Rest war dann ein Klacks. dass die Nord-Ostsee-Bahn genauso wenig wie die hiesigen Busse gegen meinen Bollerwagen haben würden, war mir klar. die Nord-Ostsee-Bahn hat sogar einen barrierefreien Einstieg. und ganz viel Platz im Eingangsbereich. mehr Komfort ist kaum möglich, wenn ich mir überlege, was für eine Aussicht bei der Fahrt mit diesem Zug herrscht: Wiesen, Wiesen, Wiesen mit Kühen, Schafen, Pferden…

liebe Bahn, die Hinfahrt mit dem Bollerwagen ging gut. und niemand hat sich 10,5h lang an meinem Bollerwagen gestört. Danke.

ich bedanke mich dafür, weil ich auf der Rückfahrt, zwei Wochen später, lernen musste, dass mein Bollerwagen ein Sicherheitsrisiko darstellt und ich damit sogar den Job des Zugführers gefährde und er doch seinen Kindern so gern noch Spielzeug kaufen wolle, wofür er den Job ja brauche.

was war anders?

also die Fahrt von St. Peter-Ording nach Husum war super. wir nutzen den Schienenersatzverkehr (es hatte einen Notarzteinsatz auf der Strecke gegeben und die RB fiel aus) und der Busfahrer half mir mit dem Einstieg in den Bus. der Bollerwagen stand komfortabel neben der Tür eingekeilt zwischen irgendwelchen Haltestangen und wir drei saßen auf einem Vierer-Sitz mit dem 68l-Rucksack auf einem der Sitze und wurden nach Husum geschaukelt.
wir waren rechtzeitig am Gleis, schauten auf den Wagenstandsanzeiger und positionierten uns in Bereich D auf Höhe des Fahrradabteils mit dem festen Vorsatz, diesmal in der ersten Klasse zurückzureisen.

und es klappte! wir kamen in den Zug rein, wieder mit Hilfe einer anderen Zugreisenden, ich schloß meinen Bollerwagen in einer Ecke an (leider war der Zug älter als der der Hinfahrt und dementsprechend war der Platz in dem Abteil insgesamt sehr knapp aber dafür gab es zwei dieser Wagen direkt hintereinander) und wir zogen wieder mit 68l-Wanderrucksack, Kühltasche und Handgepäck durch den Zug. die erste Klasse war dort, wo sie angezeigt wurde. und wir setzten uns ins Bahn-Comfort-Abteil, nachdem uns ein Mitreisender dazu ermutigt hatte.

achja, Klimaanlage, breite Sitze, viel Platz in der Mitte…das war schon toll. und ich hatte bis Hannover Martin zum quatschen, von dem ich jetzt nicht nur Geburtsjahr, Beruf und Studienorte kenne, sondern auch Renovierungsstand der Praxis, Trennunggrund von der Exfreundin, Niederlassungsgrund in Nordrhein-Westfalen, Thema der Doktorarbeit, Abgrenzungsbedarf von zu Guttenberg und Ausprägung des Kinderwunsches (spontan verstärkt durch die Konfrontation mit meinen beiden Kindern, die ihn über das aktuelle Kindergartenuniversum aufgeklärt haben).

bei der ersten Fahrscheinkontrolle noch vor Heide erwähnte ich, dass der Bollerwagen im zweiten Fahrradabteil meiner sei und ich gerne behilflich bin, sollte dieser im Weg sein. ich erwähnte es unaufgefordert. ich wollte meine Bereitschaft zur Mithilfe und zum Gelingen eines reibungslosen Ablaufes der Fahrt signalisieren.

nach 10min kam der Bahnmann zurück und bat mich, das Schloss, dass sich nur benutzt hatte, damit der Wagen nicht wegrollt, so anzuschließen, dass der Wagen bewegt werden kann. was ich tat („Kinder, ich muss kurz zum Bollerwagen. Wartet hier bitte auf mich.“ -„ok.“).

nach 2h kam eine Bahnfrau und meinte, es würden zu viele Fahrräder zusteigen, der Bollerwagen müsse weg. auf meine Frage nach dem „wohin“ verschwand sie kurz und kam dann wieder mit „ganz ans Ende des Zuges vor der Toilette, bitte. schaffen Sie das?“
ich versprach es zu versuchen („Kinder, ich muss kurz zum Bollerwagen. Wartet hier bitte auf mich.“ -„ok.“). ich zog den Bollerwagen durch drei schmale Schwingtüren, um Klappsitzsitzende rum und an den Abteilen vorbei und kettete ihn vor dem Klo im letzten (relativ leeren) Wagen an, aber so, dass er auch entfernt werden konnte.

nach weiteren 2h hörte ich ein lautes Gespräch vor dem Abteil, das endete mit „nein, nein, ICH werde das klären“ und schon öffnete sich die Tür und: „Ihnen gehört der Bollerwagen? Der muss sofort weg!“
vor meinem inneren Auge sah ich den Bollerwagen schon aus dem fahrenden Zug geworfen werden, antwortete aber nur mit einem fragenden Blick.
der Bollerwagen müsse dort (hinterste Tür des Zuges, Zugang zum Klo noch möglich, eine Tür sofort frei, eine durch den Bollerwagen eingeschränkt) sofort weg, denn er sei ein ordentlicher Zugführer und ihm sei egal was andere sagte, aber er mache seinen Job ordentlich und ein Bollerwagen sei kein Gepäckstück und er sei auch kein Kinderwagen weswegen ich für einen Bollerwagen ein Fahrradticket brauchte und mich besser informieren müsse und da genau dieser Bollerwagen faltbar sei was er zufällig genau wisse und da er seinen Kindern auch weiterhin Spielzeug kaufen wolle und deswegen diesen seinen Job behalten müsse informiere er mich hiermit darüber dass der Bollerwagen umgehend ausgeräumt und zusammengefaltet werden solle.

auf meine Frage hin, wie ich das mit all dem Kleinkram machen soll, antwortete er, dass das nicht sein Problem sei, sondern meines und dass ich mich beeilen solle und seine Aufgabe nur gewesen sei mich zu informieren.
(„Kinder, ich muss kurz zum Bollerwagen. Wartet hier bitte auf mich.“ -„ok.“)

liebe Bahn. ich könnte das hohe Lied der Kommunikation anstimmen. oder um Verständnis bitten. oder einfach ruhig sein. aber: ich möchte doch ganz gern aussprechen, dass offensichtlich 6 verschiedene Bahnangestellte 6 verschiedene Ansichten zum Umgang mit Bollerwagen hatten und das mich das doch sehr wundert. ich hatte mich gefreut, CO2-zärtlich mit der Bahn zu reisen und ich hatte mich gefreut, für mein Gepäck einen Bollerwagen ausgeliehen bekommen zu haben (ein Küsschen in Richtung Johannas Familie, die sich gefreut hat, dass ihr Bollerwagen jetzt ein Fahrrad ist). mir erschien das die perfekte Lösung. mir war klar, dass wir in einer reiseintensiven Zeit unterwegs sind. da ändert sich ne Wagenreihung, da ist das Zugpersonal schon panisch, bevor der Zug voll ist, weil es weiß, dass der Zug voll wird (übrigens: an dem Punkt könnte ich ein Coaching anbieten, was den Umgang mit Stress angeht)…ich bin mit einem gigantischen amount of Verständnis losgefahren.

aber es bleibt bei mir die Frage hängen:
warum um Himmels Willen ist ein Bollerwagen eher ein Fahrrad als ein Gepäckstück (mit Rollen) oder ein Kinderwagen?

liefs,
Minusch

10 Antworten auf „ach, Bahn

  1. Liebe Minusch,
    das hast du schön beschrieben!
    Ich bin kein Nestbeschmutzer, aber: Freundlichkeit und Flexibilität ist auch eine Haltung und die fehlt in D. immer noch an vielen Ecken. Das fällt mir immer wieder auf, wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, wo ich nicht fluchtartig meine Einkäufe in den Wage werfen muss oder eben flexibel auf unsere Bedürfnisse reagiert wird.
    Bin gespannt, ob sich die Bahn mal meldet!
    LG,
    Stefanie

    1. bisher hat die Bahn via twitter eher den eigenen Standpunkt der Indifferenz gefestigt.

      ich denke immer: es wäre schöner, wenn wir einander beim Probleme-löse helfen, anstatt auf Regeln zu beharren, die einzelne ausschließen.

  2. Nach dem viel zu kühlen und nassen Camping-‚Urlaub‘ anschließend diese Horror-Rückfahrt – da sehnt man ihn doch schon jetzt herbei: den letzten Schultag vor den Herbstferien in Hessen, also den 6.10.
    Alles Gute für Sie!!!

  3. Abenteuerreisen mit de Deutschen Bahn. Ich war jahrelang auch sehr viel mit denen unterwegs und mir hat’s zuletzt mit Kinderwagen und sehr viel Gepäck gereicht. Manche Dinge ändern sich wohl nie. Aber es war amüsant zu lesen, weil toll geschrieben, falls das ein Trost sein sollte.

  4. Schreib es dem Kundenservice-der DB AG – nicht die umgekehrte Wagenreihubg, aber die Frage zur Regelung zur Mitnahme des Bollerwagens, schon in Hinblick um
    Schwarz auf weiss was für weitere Reisen in der Hand zu haben. Hast du den Namen des Zugführers? Wenn nicht langt auch der Kurs…

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