Tagestraktat

der Tag heute hat so doof angefangen. daher wieder Gedanken. so viele. ich dachte über Fame nach. ich dachte über Einsamkeit nach. über das Verheiratet sein. über Automatismen. ich dachte darüber nach, ob das Schloß an meinem Fahrrad eingefroren ist und warum ich so müde bin, wenn ich doch gerade tagsüber Urlaub machen kann. ich war gedanklich bei Bitterkeit und Enttäuschung und bei positiver Psychologie. anschließend dachte ich über Anziehung nach und über den Wechsel von Nähe und Distanz. darauf folgten 10min Gedanken über Humor.

als ich an einem Möbelwagen mit frühstückenden Männern vorbeilief, dachte ich an Sex. dann sah ich mich gedanklich in der Gruppe auf dem Wagen sitzen und Witze erzählen. ja, das erscheint realistischer. ein paar haben mir nachgeschaut und ich dachte: ich halte meine Handtasche ja sehr feminin aber mein Parka, die ausgeleierte Jeans und meine ultrawarmen Winterstiefel würden eher einen sehr schrägen Fetisch bedienen. ich schaute theatralisch hoch und sah den Himmel und wurde wieder milde.

ich beobachte meine Libido schon länger im Verlauf meines Zyklusses und ich frage mich, ob das andere auch tun, oder ob nur ich zuhause sitze und meine Begeisterung für Sex auf einer Skala einordne. ich dachte übrigens auch über die Gleichzeitigkeit von Mutter- und Frausein nach. und ich fragte mich, ob Männer über ihr Vater- und Mannsein nachdenken. oder ihre Libido.

als ich noch überzeugt verheiratet war, hatte das etwas sicheres. ich wusste, wer so alles zu uns und dieser Wohnung gehört. das war eine feste Struktur mit Perspektive. jetzt verschwimmen in mir die Zeiten. also eigentlich laufen sie ineinander wie Farbe. ich bin ja jetzt die Mutter mit den Mutteraufgaben (denkt ihr auch manchmal, dass andere viel mehr nach Mutter aussehen, als ihr?) und gleichzeitig springt ein Mechanismus von der prä-Mutter-Zeit an. dieser Mechanismus fühlt sich mehr nach studentisch an als erwachsen. aber wenn ich die Student*innen angucke sind die alle 20 Jahre jünger als ich. so schräg.

tja, da sitze ich nun. vor mir ein Wäscheständer. die Waschmaschine ist noch anstellen. die Kinderzimmer sehen echt wüst aus. die Mutter in mir könnte aufspringen und für Ordnung sorgen. die Studentin in mir möchte lieber in Dating-Portalen rumsurfen und zum 5. Mal diese Woche Ghostbusters gucken. so ein unglaublich toller Film. ich schwärme regelrecht von Jillian Holtzman und sehe meine sexuelle Präferenz wanken. eine so atemberaubend-schöne Figur. mich hat ja schon Bart völlig fertig gemacht, die holistische Mörderin aus „Dirk Gentlys holistische Detektei“. was für eine Frau!?! aber Jillian Holtzman ist einfach eine Figur, die ich mir in meinem Leben wünsche. also entweder ich trage irgendwann selber gelbe Schutzbrillen und Kimonos über 3/4-Hosen mit Doc Martens oder ich suche mein Leben lang eine Ingenieurin, die mit mir zu „Rhythm of the Night“ tanzt.

mein letzter Blogbeitrag hat ja ganz schön eingeschlagen (es sind immer die Dinger, in denen ich so aggressiv schreibe…warum ist das dann so erfolgreich? verwunderlich). ich war kurz versucht, den weiter anzuschieben. ganz kurz. eine Nanosekunde. denn: ich finde Fame doof.

ehrlich: wenn jemand mit großen Followerzahlen einen Beitrag von mir verlinkt rutscht mir das Herz in die Hose. dieses Blog is not build to be erfolgreich. es ist mein kleines Fensterchen zu diesem Internet. es ist ein Ausdruck meines Bedürfnisses, mir selbst zu sagen, dass alles ok ist. es hat quasi auto-therapeutischen Charakter. jaja, ich möchte diese Texte schon gelesen wissen, aber: es gibt Gründe, warum ich besser hinter dem Screen sitze. oder warum ich besser in der Regie unterwegs bin als auf der Bühne. Erfolg macht süchtig und versetzt in einen Rauschzustand. ich mag das nicht. ich rausche gern, aber ich mag den Abstieg danach nicht. echt nicht. ihr kennt das alle: ein wundervoller Tag, alles läuft, das Wetter passt und irgendwie fallen die langen 5-er immer zur rechten Zeit. der Tag trägt Dich durch die Zeit und Du fragst Dich, warum Du sonst so unzufrieden bist. Du nimmst Dir vor, diesen Tag als Beispiel aufzubewahren für bad days to come…und meistens ist der nächste bad day damit schon vorprogrammiert.

ich mag das nicht.

also ich lasse mich gern von Lachen berauschen. aber nicht von Erfolg, Alkohol oder sonst was. ich war noch nie bekifft, habe nie gekokst oder Extasy genommen. nüscht. ich trinke keinen Kaffee und bei mir kippt sogar Rotwein um, weil ich vergesse, dass ich ihn aufgemacht habe. bei Riesling ist das etwas anders…aber Riesling ist ja auch was anderes. hm, da bekomme ich direkt Lust auf Sushi.

heute morgen konnte ich das Fahrradschloss nicht aufschließen. das hat mich so fertig gemacht, dass ich den Schlüssel auf den Boden gepfeffert habe und weinen musste. ich setzte mich auf eine Stufe und dachte: ‚da müssen die zwei kurz durch. geht ja gleich wieder.‘ als ich aufschaute versuchte der Große, das Schloß mit anderen Schlüsseln aufzuschließen  und der Kleine schob sein Rad zurück ins Treppenhaus und murmelte was von Werkzeugkiste holen. ich bin so stolz. sie hätten auch bedröppelt vor mir stehen und mitweinen können. ich bin mir sicher, der Impuls war da. beide haben aber versucht, das Problem zu lösen. lösungsorientiert. ich bin überzeugt davon, dass das eine Schlüsselqualifikation der Zukunft darstellt. da hab ich meinen Job bisher wohl ganz gut gemacht.

 

liefs,

minusch

 

10 Antworten auf „Tagestraktat

  1. Ich werfe so gerne einen Blick aus dem großen Internet durchs kleine Fenster in dein Leben. Dann sehe ich was du so treibst und wie und fühle mit und Verbundenheit. Familienblog at its best! Liebe Grüße

  2. Dieser Beitrag von Dir ist so oooohhhh. Ich schmelze. Ich erkenne mich wieder. Dieses Denken. Dieses ZU VIELE Denken übrigens auch. Ich bin davon überzeugt, dass die MEISTEN Männer nicht so viel denken, jedenfalls nicht so reflektiert. Die nehmen ihre Libido sicher wahr, aber nicht so bewußt. Die gehört halt bei denen immer dazu. Verstehst Du, was ich meine. Und die meisten Kerle halten sich ja auch für unwiderstehlich, egal, was für Klamotten sie gerade anhaben (was ich selber nicht für so wichtig erachte, im Winter erst recht nicht). Manchmal wäre weniger Denken hilfreicher, aber vermutlich auch langweilier. Und das mit dem studentlichen Lebensfgefühl…Hey, HIER AUCH! Und es sieht hier im Haus auch eher aus nach Studentenbude, teilweise stammen auch noch die Möbel aus der Zeit. Schöner Wohnen oder diese neuartigen Designerhäuser sind mir ein Graus! Hier ist es bunt und lebendig. Und so bin ich von meinem Fühlen her. So wie vor 20 Jahren, auch wenn ich inzwischen für die Jugend ne alte Frau bin.
    Ich mag es, durch Dein kleines Fenster zu schauen und denke so oft, ich sollte mal meine Kinder packen und einfach zu Dir fahren. Nächstes Wochenende schon was vor???

  3. Ich lese dich so furchtbar gern, Minusch. Zum Glück habe ich dein kleines Fenster entdeckt. Deine zwei Kinder bewundere ich sehr! Ich hätte mich wahrscheinlich neben dich gesetzt.

    ❤️ Susan

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