differences

ich denke über Unterschiede nach. Auslöser war ein Blogtext von Andrea . ihr Text „über motzende Mütter“ hat mich heute früh um 6 etwas aus dem Konzept gebracht. ich hab ihn im Bett liegend auf dem Handy gelesen und erkannte die Situationen wieder…und wurde sauer. dann musste ich nachdenken, woher die Wut kam. Andrea beschreibt in dem Text den Alltag (einer Familie) unter Beschuss (Viren) und in einer energieintensiven Zeit (Weihnachten). ich bin mir sicher, ich bin nicht die einzige, die sehr konkrete Bilder zu so etwas im Kopf hat. aber Andrea beschreibt noch etwas, was ich nicht habe: ein schlechtes Gewissen.

ich will nicht so tun, als hätte ich das nie, das schlechte Gewissen. ich wurde zum schlechten Gewissen erzogen und dieses Prinzip ist nach wie vor ein effektiver weil affektiver Hebel, dem ich nur mit einem ordentlichen Aufwand an Selbstreflexion entkommen kann (seit ich mir die Erkenntnis, dass ein schlechtes Gewissen ein mieser Motor für mein Handeln ist, ins limbische System tapeziert habe). ich habe das schlechte Gewissen nicht überwunden, aber ich nutze es als Indikator für Manipulation, denn: wer mich überzeugen möchte, braucht nicht mein schlechtes Gewissen antriggern. da reichen Argumente völlig aus. auch und gerade im emotionalen Bereich.

ich wurde heute morgen im Bett liegend also sauer, weil Andrea sich fragte, ob sie denn die einzige sei, die es nicht schaffe, mit 40°C Fieber, zwei Kinder, einem kranken Mann und Weihnachtskram drumrum nicht motzig zu werden. sie würde ja versuchen, immer zugewandt zu sein und sie würde ihren Kindern ja auch ihre Wut erklären und sie bemühe sich so, aber es klappe nicht. dabei lese sie das ja in anderen Blogs.

sorry, Andrea, wenn meine Zusammenfassung etwas lächerlich klingt, aber vielleicht ahnst Du schon, worauf ich hinaus will, wenn Du das hier liest:

VERDAMMT NOCHMAL! WIR SIND ERWACHSEN UND WIR BRAUCHEN KEINE RATGEBER, DIE UNS REGELN AUFERLEGEN, DIE NUR REIN FIKTIV FUNKTIONIEREN!!!

…puh…gleich geht es wieder. ich war so dankbar, dass Jesper Juul (auch wenn ich ihn jetzt nicht für den Entdecker der Welt halte, wie manch anderer) ENDLICH mal die Elternseite mit einbezogen hat in seine Ratgeber. ich dachte: Yeah! Konfetti! endlich befreit uns einer von dieser komplett überzogenen Erwartungshaltung an uns selbst! endlich „dürfen“ wir Menschen sein!…und dann kommen da schon wieder Konzepte um die Ecke, die nur auf Hochglanz funktionieren, aber nicht im Alltag. und dann werden die durchgedrückt mit der Androhung von Kindeswohlgefährdungen in Form von erwartbaren Entwicklungsproblemen und alle Mamas kriegen spitze Ohren und wittern noch eine Baustelle, an der sie sich optimieren können.

meine Damen, ich enthülle Euch mal ein Geheimnis: Kindeswohlgefährdung sieht ganz anders aus und bis ein Kind in seiner Entwicklung gebremst wird, müsst ihr euch schon höllisch anstrengen mit Euren Thermomix-Plätzchen und den Schurwolle-Teppichen vor den Babybetten. ein Kind kann sein ganzes Leben Toastbrot mit Nutella als Schulbrot mitnehmen und trotzdem das Abitur schaffen ohne auch nur in die Nähe einer Gefährdung zu geraten!

Exkurs:

ist schon jemandem aufgefallen, wie das mit den Ernährungsratgebern ist? es gibt jedes Jahr neue Trends und Empfehlungen und dazu dann reihenweise Veröffentlichungen im Spektrum von Wissenschaft bis Esoterik. für wirklich jeden ist da was zu finden. du kannst Fasten üben, Rohkost essen, dein Getreide selber malen und auf Hefe verzichten. du kannst Ernährungsgruppen getrennt essen oder nach Verhältnissen, du kannst Deinen Blutzucker als Maßstab nehmen oder den Tag oder die Woche. Kalorien zählen oder umrechnen. jedes Jahr popt irgendwo eine „neue Studie“ auf, die uns erklärt „jetzt aber wirklich und endlich und nur so!“.

und wenn wir die entsprechenden Bücher haben, dann können wir das passende Superfood, den passenden Topf, das perfekte Sieb oder den besten Pürierstab dazu kaufen. außerdem gibt es Fortsetzungen, falls uns die Ideen ausgehen. wir können uns in Foren dazu austauschen und uns mit Gleichgesinnten vernetzen…

…denke nur ich dabei an Momo? an Beschäftigung und Geldmacherei? an Konsum? 

mit Elternratgebern ist es genau. das. selbe. da werden uralte Ideen und Prinzipien ausgeschlachtet, umbenannt, pervertiert und VERKAUFT! da gibt es plötzlich Gruppen, die sich gemeinsam feiern (je mehr sie dafür verzichten müssen, desto aggressiver ist die Gruppe; schonmal aufgefallen?) und es gibt Menschen, denen das eigentlich zu krass ist, die sich aber diesem Dauerfeuer kaum entziehen können, denn diese Menschen, die so großzügig für das „höhere Wohl“ verzichten, die haben einen missionarischen Auftrag. und der ist eigentlich das Unangenehmste daran: wenn ich mir die Mühe mache, so zu leben, dann solltest Du es auch tun! weil…weil ich weiß, dass ich das richtige mache und ich ertrage nicht, dass Du es Dir so bequem machst! weil das ist falsch! das kann nicht richtig sein! das darf nicht richtig sein!…

wohlgemerkt: ich stelle hier keine Kuh aufs Eis und beziehe mich auf bestimmte Gruppen. ich bleibe bewusst global, denn dieses System passt bei Ernährung, Bekleidung, Haushaltsführung, Erziehung, Bewegung, Handarbeit…auf alle Bereiche, mit denen Geld gemacht werden kann!

 

liebe Andrea, wenn Du das hier liest, lehn Dich als erstes zurück und schau Deine Kinder an. sie sind dann wütend, wenn sie wütend sind. sie schützen ihre Grenzen und agieren aus, was in ihnen ist. sie leben mit allem, was dazu gehört. sie überlegen nicht, ob Mama gekränkt ist, wenn sie sie anschnauzen. das gehört dazu. bring ihnen bei, sich zu entschuldigen, wenn sie zu weit gegangen sind. aber nicht, dass Mama sich nur als Buddha-Double selber mag. jeder Mensch flippt aus, wenn die Kraft nicht reicht um den Alltag zu stemmen. die einen kriegen schlechte Laune, die anderen Depressionen. die einen schnauzen rum, die anderen schotten sich ab. es ist Dein Leben. Du bist ein Mensch. Perfektion ist was für Anfänger.

und wenn Du noch einen Böller übrig hast, schreib „schlechtes Gewissen“ drauf und schmeiß ihn heute mittag um 13:00 auf den Parkplatz. das schlechte Gewissen macht Dich manipulierbar. und das brauchst Du nicht sein. Du bist eine Supermama mit zwei Superkindern und einem Superpapa-Sidekick! scheißegal, ob diese Ansicht alle teilen. es reicht, wenn Du Dich traust, das zu glauben! denn nur das, was Du selber glaubst, wird wahr…

liefs,

Minusch

22 Antworten auf „differences

  1. ja ja ja ja ja ja
    OMG du sprichst mir gerade so aus der Seele. Was will sie denn machen, wenn die Kids in der Pubertät sind?
    Ich habe immer das Lesen von Mama-Blogs vermieden, weil mir das nur zusätzlich druck machen würde (ich kenne mich). Jesper Juul und Remo Largo waren die einzigen, die ins Bücherregal einziehen durften und gelesen wurden (Rest aus beruflicher Notwensigkeit…),

    Liebe Grüße
    irka

    1. ich würde auch nur Largo und Juul autorisieren…und Juul hab ich schon wieder verkauft. den les ich einmal und hab kapiert, was er will ^^

      …und ich glaube, „sie“ will es einfach richtig machen. wir leben ja in einer Gesellschaft, die die Grauzonen abschafft. das ist quasi ein Stellvertreter-Post für viele Debatten…

  2. Das hast Du so wunderbar geschrieben! Gerade habe ich einen Text veröffentlicht, in dem es um mein schlechtes Gewissen und das Gefühl geht, an diesen Tagen eine Kackmama zu sein. Ich finde mich schon gut, weil ich außer in genau diesen Momenten weiß, dass ich es nicht bin. Aber das mit dem Böller und dem schlechten Gewissen kommt auf jeden Fall Silvester 2017!
    Danke!

    1. also ich kenne euch Blogger-Mamas ja nicht alle persönlich und ich bin auch nie im Alltag dabei, aber: wer sich so viele Gedanken macht, kann keine Kackmama sein. unmöglich. beim Verlust sämtlicher Ressourcen und der eigenen Verantwortungsfähigkeit können wir so langsam nervös werden, aber auch nur, wenn gleichzeitig das Netzwerk bröckelt und wir keinen Therapieplatz finden. aber nicht wegen Wutausbrüchen in anstrengenden bis überfordernden Situationen.

  3. Danke! Fürs Kopf gerade rücken! Für die letzten Sätze! Für all das Versönliche. Ich bin sehr fest davon überzeugt, dass meine Kinder Superkinder sind. Und mein Mann ein super Sidekick. Ich fühlte mich in den letzten Wochen nur so elend mit all meinem Gemotze, wo ich um mich herum eben immer las wie zugewandt und psotiv die anderen sind. Und vielleicht ist es ja falsch sich da ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen, vor allem weil ich eigentlich meist so wenig auf andere Meinungen gebe. Meine Kinder, meine Regeln und so. Nur beim Motzen, da bin ich offensichtlich empfindlich!

    Liebe Grüße,

    Andrea

    1. nicht Dein Gemotze war elend, sondern Eure Situation war es. Ihr musstet etwas echt anstrengendes aushalten. und das länger als 24h. Dein Gemotze war das Symptom für die überfordernde Situation. he, Du hast trotzdem funktioniert! Du bist nicht einfach in einer Ecke zusammen gebrochen sondern hast immer wieder dafür gesorgt, dass das Nötigste läuft.

      klar sind wir beim Motzen empfindlich. guck Dir unsere Nostalgie an. wenn beispielsweise die Astrid-Lindgren-Elternfiguren motzen, dann immer irgendwie witzig. und sämtliche elterlichen Figuren in Filmen oder Literatur glänzen vor Gelassenheit. und wenn nicht, dann sind sie die Bösen.

      an Dir ist alles ok. Überforderung ist Stress. kurzfristig kann sie sich gut anfühlen, wenn trotzdem alles klappt. aber langfristig macht sie jeden fertig…

  4. Ich bin etwas spät dran, aber nicht zu spät um zu sagen: Das ist der beste beste beste und wichtigste Artikel, den ich seit Jahren gelesen habe.

    Ich werde nun immer wieder auf diesen verweisen, wenn es passen sollte.

    DANKEDANKEDANKE!

  5. das ist das beste was ich seit langem gelesen habe. ich bin mittlerweile 61 jahre alt. hätte ich diese erkenntnisse als junge frau schon gehabt, wäre mir vieles erspart geblieben. jeder sollte sein eigener experte sein. auf die eigenen gefühle vertrauen und das tun, was er für richtig hält. super artikel. danke

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