Stärke – aha

ich lese dieses Attribut immer und immer wieder und fühle mich damit abgeschoben. ist das hier stark, was ich mache? riecht denn wirklich kein Mensch die Verzweiflung dahinter?

ok, ich mache es mal ganz deutlich:

in meinem Leben ist mit dieser Trennung der dritte basale Traum zerstört worden. der erste Traum war der von der Anerkennung meiner Eltern. der zweite war der, von der Unsterblichkeit meines Kindes. der dritte war der von meiner Fähigkeit, eine heile Familie zu halten.

ich hatte nie Träume von Häusern, Karibikreisen oder Diamanten. ich hab mir noch nie teure Klamotten gekauft. ich habe nie auf ein Auto gespart. ich habe eine bescheidene Zusatzrente und das wars. aber ich habe immer davon geträumt, eine Mutter zu sein. ich habe schon als junges Mädchen Grundrisse von Häusern gezeichnet und eingerichtet und ich habe schon mit 14 angefangen, ausgewählte Kindersachen (Bücher und Filme) aufzuheben für meine eventuellen Kinder. bei allem, was ich aussortieren wollte, habe ich überlegt, ob es für kleine Kinder nicht ein Schatz sein könnte.

als ich mit Mitte 20 schwanger wurde, hatte ich mir gerade als Notfall-Plan zurecht gelegt, dass ich auch eine Sprachwissenschaftlerin sein könnte. von Lyrik würde ich eh nie leben können, aber vielleicht als eine Dozentin, die immer als letzte das Philosophicum verlässt und die dann nachts am Küchentisch vor dem Einschlafen noch einen Whiskey kippt. das war der Notfallplan, an dem ich 3 Jahre lang gearbeitet hatte. dann wurde ich schwanger und der Plan wurde überflüssig und dann platzen innerhalb der nächsten 2 Jahre die Träume 2 und 1.

von da an setzte ich alles daran, nicht allein zu sein. jemanden zu finden, der mit mir Lust darauf hat, zu entdecken, wie es ist, Eltern zu sein. jemanden, der Bock auf ein Zuhause hat. ein Zuhause mit Kindern. ich wusste, dass ich als Grundlage für meine Familie einen Menschen als Partner gewählt hatte, mit dem ich nicht total harmonierte. von Anfang an nicht. aber ich dachte mir: wenn wir beide es wollen, dann kann es gut werden…ich verzieh so vieles und immer wieder, weil dieser letzte Traum, meine eigene Familie zu sein, die beiden anderen kompensieren musste. ich übersah Lügen, ich akzeptierte Ungereimtheiten im Haushalt und in den Berichten der Kinder und ich schluckte immer wieder die verbalen Attacken. ich war ja auch keine Elfe. ich bin impulsiv und wenn jemand mich verletzt spucke ich Feuer…zwar anders als er, aber ich finde nicht, dass ich damit besser bin. bis zu dem Schleudertrauma. bis zu dem Tag, an dem die letzte Grenze fiel.

alles, was danach kam, stand unter dem Vorzeichen meiner eigenen Verzweiflung. meiner Angst. ich habe schon von Sozialhilfe gelebt (damals mit Kilian) und von Hartz IV (damals nach dem Studium). ich habe schon 3 Notfallkredite abbezahlt und knappse gerade an dem letzten. ich weiß, was auf mich zu kommt und ich habe Angst. wäge ab, was ist schlimmer: Armut oder Gewalt? was macht mehr kaputt: die Selbstverpflichtung zum Sparen oder ein anderer Mensch, der ein Narrativ fortsetzt, dass Du schon kennst? die Geschichte von der gierigen Frau. von der, die alle unter Druck setzt. die, die immer nur nimmt und nichts gibt. die sogar betrügt, um mehr Geld zu haben.

ich habe wegen dieser Beziehung eine Therapie angefangen, weil ich mir selbst nicht mehr getraut habe. alle Anzeichen wiesen schon lange in Richtung Trennung…aber wohin mit der Angst vor Armut und Depression? Armut macht krank. jeden. ich stehe seit über einem Jahr unter diesem Stern: Pest oder Cholera? was macht mich schlimmer krank? was hat stärkere Auswirkungen auf meine Kinder?

wie leicht fällt da die Hoffnung? jetzt ist er aber wirklich zu weit gegangen. jetzt MUSS er verstehen, dass das so nicht geht und er etwas ändern muss. wie ein blödes Schaf habe dieses Mantra in mein Hirn zementiert. nur durch Hoffnung ändert sich was. Änderung braucht Zeit. er muss doch sehen, wie wertvoll ich bin. bitte sieh doch, wie wertvoll ich bin!

…ich bin nicht stark. ich bin klein wie mein Twitternick. klar, wenn ich gezwungen bin, dann werde ich eine Riesin, aber warum werde ich dazu gezwungen? ich will das nicht! ich will in meinem Zuhause hocken und Handarbeit machen! ich will kochen und aufhübschen und schreiben und lesen und singen. ich will einfach gut genug sein, ohne Stärke. klug will ich sein. weise. ausgeglichen. aber immer wieder stehe ich an dieser Klippe und muss springen.

jetzt sitze ich im Wohnzimmer nach einem höllisch anstrengenden Nachmittag. der war absehbar. ich kann niemandem einen Vorwurf machen. aber: ich bin nicht stark. und – verdammt – ich will es auch nicht sein!

wisst ihr, wie sehr ich mir gewünscht habe, ein Mensch möge kommen, der sich vor mich stellt. damit ich endlich – endlich! – mal loslassen kann? loslassen. runterkommen. die Balance finden. ein Mensch, dem ich wichtig bin. der nicht auf mich verzichten will. so einen Menschen gibt es nicht in meinem Leben. keine beste Freundin, keinen besten Freund. und der Ehemann findet mich auch zum kotzen.

…nein, Stärke sieht anders aus. ich mache das Beste aus dem, was ich habe. aber fragt nicht: als der Vater der Jungs gestern da war und hier 3h lang Harmonie herrschte, konnte jeder hören, wie es mich zerrissen hat, als dann irgendwann doch wieder ein Spruch kam, der mich verletzt hat. es hat mich zerrissen. diese Wunde zeichnet den heutigen Tag. ich bin und bleibe ein Wesen, das sich in Gefühlen verheddert und hofft bis zum Zusammenbruch. Kopf und Herz sind aus dem Takt geraten. alles, was ich tun kann, ist, für meine Kinder zu sorgen. den Fokus endlich von diesem Thema nehmen und meine Kraft einsetzen, die beiden zu stabilisieren, damit ich dann aus dieser Stabilität heraus aufarbeiten kann, was war. was ich 5 Jahre lang erlebt habe.

solange ich mich auf meine Kinder fokussiere habe ich den Wert einer unantastbaren Mutter. das ist mein Schutzpanzer. meine Universalverteidigung. die Alternative wäre ein Zusammenbruch wie im Bilderbuch. Wunden lecken. Akzeptanz dessen, dass ich mich für nichts so angestrengt habe. ja, ich weiß, das muss raus. aber niemand kann mich zwingen, hier die Prioritäten zu verschieben. ich brauche jetzt Unantastbarkeit. ich brauche Schutz. und es gibt niemanden, der das für mich macht. ich schreibe Anträge, telefoniere mit Ämtern und bin traurig, dass sich meine Familie auch jetzt nicht darum schert, wie es mir geht. also mach ich es selbst.

aber bitte: ich bin weder stärker noch irgendwie bewundernswerter als andere. ich bin eine arme Sau, die heute staunend auf ihr Konto geschaut hat und sich fragt, wer ihr ins Hirn geschissen hat, ihren Geburtstag zwei Mal feiern zu wollen. es ist offiziell: ich bin eine Alleinerziehende mit Teilzeitstelle, deren Kohle nicht mal den Hartz IV-Satz erreicht.

es gibt nichts daran, wofür ich bewundert werden sollte. gar nichts. wenn ich mein Hirn noch ein wenig zusammennehmen kann, um den Alltag hier zu gestalten und uns Zeit zu lassen, Räume für uns und füreinander zu finden, dann nicht mit Leichtigkeit oder Nonchalance sondern nur mit dem Gedanken, dass ich mich in diesem Bereich so sicher fühle wie in sonst keinem und mit der Perspektive, dass unsere Mechanismen wahrscheinlich für die nächsten 16 Jahre halten müssen, weil ich mir aktuell nicht vorstellen kann, einem Mann auch nur einen Pieps zu glauben.

 

liefs,

minusch

 

19 Antworten auf „Stärke – aha

  1. Diese Entschlossenheit fehlt mir noch, und die vermeintliche Stärke. Es hängt soviel dran, für die Kinder, eine „heile“ Familie (war auch mein Traum, wenn auch nicht nur), mein Zuhause und das der Kinder, also unser Haus. Leiden tue hier nur ich – zumundest oberflächlich gesehen. Was erwartet mich auf der anderen Seite? Könnte ich das besser stemmen als dieses Dummf**-Leben an seiner Seite, nein, neben ihm? Ganz los werde ich ihn eh nie….
    Danke für deinen offenen Text. Ich schicke dir Trost. Du machst das gut!

  2. P. S. Und das mit der äußeren Ordnung, die die innere Ordnung bedingt, das kenne ich nur zu gut, das ist bei mir auch so. Ich werde fast verrückt, wenn zu viel Chaos um mich herum herrscht. Und das ist hier meistens so mit zwei Kindern und einem Mann, der nicht viel vom Aufräumen hält.

    1. du klingst zartbitter…und ich versteh das zu gut. ich weiß ja nicht mal, ob das hier das richtige ist, aber auch wenn es falsch ist, kann ich es ja so gut wie möglich durchziehen.
      mehr als so-gut-wie-möglich geht ja ohnehin nicht, nicht wahr?

      ich sende Dir liebe Wünsche fürs neue Jahr und einen klaren Blick. ❤

  3. Wie gut ich Dich verstehe – auch ohne Kinder. Niemand wird fragen, niemand einfach kommen und die Arbeit und vor allem die Sorgen abnehmen. Heute noch weniger als früher. Besser fern halten, nicht, dass man sich ansteckt. Ich nehm Dich einfach mal in den Arm, wenn auch nur virtuell. Vielleicht hilft es ein ganz klein wenig.

  4. Dein Text beschaftigt mich sehr, liebe Minusch. Ich denke aus der Ferne an Dich! Den verzweifelten Wunsch nach mehr Unterstützung kenne ich gut. Ja, jemanden als „stark“ zu bezeichnen heißt ja, sich nicht fragen zu müssen, ob man irgendwie helfen kann oder gar: helfen müsste! Ein lieber Gruß für Dich. Greta

    1. „du bist so stark“=“ich bin es nicht, und deswegen kann ich eh nix tun“…so in etwa lese ich das auch. mir ist völlig klar, dass das alles freundlich und warm gemeint ist. und doch schafft es eine Trennung. und vor allem: wie sähe es aus, wenn ich nicht stak wäre? was wäre die Perspektive? soll ich mich jeden Tag besaufen oder kiffen? soll ich das bißchen Kohle sinnlos vershoppen? meinen Job hinschmeißen oder morgens nicht mehr aufstehen? jeder Mensch, der ein bißchen denken kann, weiß, dass sowas keine Optionen sondern Symptome sind. es gibt keine Alternative zu dem, was ich tu.

  5. Nein, es gibt keine Alternative. Deine Kinder brauchen Dich, also bist Du für sie da. Zusammenbrechen, sich „jetzt vor allem um sich selbst kümmern“ – das sind keine Optionen für Alleinerziehende. Ich wünsch Dir Menschen in Deiner Nähe, die das kapieren und wenigstens ein bisschen „für Dich da“ sind!

  6. Ach du hast so recht! Wie oft habe ich schon den Satz gehört ‚Also ich könnte das nicht, du bist so stark!‘ Ja. Und was ist die Alternative? Ich wollte das auch nicht können müssen, ein Kind alleine groß zu ziehen.aber ich mach es eben jeden Tag. Manchmal überlege ich, ob ich einfach mal antworte ‚Ja, ich kann das auch nicht, der Adoptionsantrag ist schon ausgefüllt!‘ Das ist doch bullshit. Und so geheuchelte Empathie. In solchen Momenten fühle ich mich dann hinterher meist doch ein bisschen überlegen. Weil ich weiß wie es ist. Jedenfalls hab ich dich grad entdeckt und lese dich sehr gerne!

    1. ich glaube ja, dass das viel mit einer grundlegenden Angst zu tun hat. ich denke, alle Frauen in einer Beziehung mit Kindern haben Angst davor plötzlich alleine damit zu sein (egal aus welchem Grund…der Gedanke ist schrecklich).

      was sollen sie sagen? was kann jemand sagen?

      ich hab dafür ja Verständnis ABER: ich bin nicht stärker als andere. ich schreib nur meine Gedanken hier auf. vielleicht kommt dadurch der Eindruck auf, ich könnte was, was andere nicht können. dabei muss ich was, was andere nicht müssen.

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