noch 2 Mal schlafen

es ist Donnerstagabend und ich sitze auf dem Sofa. die Jungs spielen unter dem Weihnachtsbaum mit einem kleinen Auto, den Adventsgeschenk aus der Apotheke. wir haben zu Abend gegessen, Wäsche aufgehängt, ich habe abgespült. wir haben nicht die Karten fertig gemacht, die mir noch am Herzen liegen. wir haben nicht die letzten Geschenke fertig gemacht. wir brauchten alle drei Sofazeit mit Feuerwehrmann Sam und der Katze mit Hut.

ich habe dieses Jahr sehr viel über Nachsichtigkeit und das Loslassen gelernt. ich habe viele Entscheidungen getroffen, die retrospektiv Vorbereitungen auf das hier waren. ich habe mich aufgestellt, mich besser kennengelernt, meine Grenzen gesichert und meine Perspektive erweitert. wenn ich zurückschaue, kann ich das klar erkennen. wenn ich nach vorne schaue sehe ich eher Nebel mit ein paar fernen Lichtern.

natürlich kam diese Woche ein großes Down auf mich zu. nach dem High vom Freitag war das nicht anders zu erwarten. Hochs werden nie abgelöst von Plateaus auf einem ähnlichen Niveau. es muss einen Abstieg geben. und ebenso logisch ist, dass meine eigene Gefühlslage Raum braucht. den hat sie Dienstag eingefordert, als ich mittags mit einem Mal spürte, wie schlecht es mir ging. was für irre Gliederschmerzen ich habe und dass ich nur noch liegen möchte. diese Bremse löste wiederum eine andere Bremse: ich fing endlich an zu heulen. aber fragt nicht…die Heulerei dauerte bis heute morgen. also, während ich Mama bin, heule ich meinen Universalschmerz nicht raus, das bringe ich nicht über mich. ich muss mich da auch nicht verstellen oder irgendwie verstecken: ich kann vor meinen Kindern nicht verzweifeln. geht nicht. aber wenn sie weg sind, geht das ganz schnell.

auf jeden Fall wurde mir wieder bewusst, in was für eine Situation ich geraten bin, ohne es zu wollen. denn das ist das Beschissene: ich wollte nie alleinerziehend sein! ich wollte alles dafür tun, nicht alleinerziehend sein zu müssen. aber genauso wenig wollte ich jeden Tag Streit ertragen oder nach Laune körperlich angegriffen werden. mich kotzt das so richtig an. es ist keine Reue. es ist wirklich angekotzt-sein. ich muss jetzt schon wieder ein Leben leben, für das es wirklich kaum positive Assoziationen gibt: wir sind arm, allein und emotional ordentlich gebeutelt. dazu kommt eine sich immer weiter verkomplizierende Kommunikation mit dem Vater der Kinder. ich will keine Details auspacken, aber es läuft wie im Bilderbuch. wie in den unzähligen Blogs alleinerziehender Mütter. als gäbe es eine Schablone dafür.

ich schaue auf uns und frage mich, was das soll? ich weiß, meine Geschichte ist kein Einzelfall. mir ist das bewusst. nur: warum passiert uns sowas? und warum sind es so viele Frauen, die in diesen Situationen landen? klar, auf der anderen Seite steht ein Vater ohne Kinder, der eine Wohnung finden muss. aber irgendwie erscheint mir das regelrecht easy im Vergleich zur Existenzsicherung einer Kleinfamilie mit einem 18,5h-Gehalt als SozPäd. und immerhin habe ich eine Stelle! noch dazu eine, die sich gut mit den Betreuungszeiten der Kinder kombinieren lässt. aber zum Leben reicht das nicht.

noch zwei Mal schlafen.

ich versuche, auch das loszulassen. ich hab den Dispo diesen Monat noch nicht angetastet, dabei ist der 20te schon rum. das ist gut. morgen werde ich für die Weihnachtsfeiertage einkaufen und ich bin dankbar, dass ich so viel über Essen und Konservierung und Zubereitung weiß, dass ich in dem Bereich prima Geld sparen kann. die Geschenke für die Kinder sind schon verpackt und ich konnte den beiden ein paar Wünsche erfüllen, auch mit Hilfe des Weihnachtsgeldes von Oma und Opa. Weihnachtsschmuck besitze ich schon so lange genügend, dass ich mir darum auch keine Gedanken machen muss.

meine Fähigkeiten zur Haushaltung sind in den letzten Jahren ordentlich gewachsen. ich habe Marmeladen- und Ketchup-Vorräte aus dem Sommer zuhause. im Gefrierschrank schlummert Rotkohl und auch noch etwas Sauerkraut von einer Freundin. unsere Pasta-Vorräte stocke ich immer auf, wenn sie wieder irgendwo für 77Ct im Angebot ist und die Kartoffeln kaufe ich mittwochs direkt vom Bauern. Fleisch brauchen wir nicht so viel. und ich erinnere mich gut an meine innere Regel aus meinem Leben mit Kilian: jeder Tag, an dem ich kein Geld ausgebe, ist ein Tag, um den sich das Kontoende nach hinten schiebt. damit lässt sich viel ausrichten.

es geht uns gut. ich bin sehr stolz, so viel über Haushaltung zu wissen. ich bin auch stolz, dass es hier immer leidlich ordentlich ist. dass wir abends aufräumen für den nächsten Tag. ich bekomme langsam einen Rhythmus für die Woche. und ich habe schon zwei Nächte 8h am Stück geschlafen. die Jungs spielen viel miteinander und wechseln sich mit ihren Wutphasen verlässlich ab. aber abends im Bett geben wir uns immer alle Küsse und besprechen den Tag. unsere Wünsche. was wir schön fanden. und was uns traurig gemacht hat. denn völlig klar ist: ohne Verstärkung reisst mir schneller der Geduldsfaden als mit. und wenn ich krank bin, sinkt die Laune der Kinder auch verlässlich in den Keller.

 

vielleicht schreibe ich das hier hin, weil ich mir Schulterklopfer wünsche. vielleicht schreibe ich das, damit das andere Mamas lesen, die auch sowas durch oder vor sich haben. ich möchte mein „normal“ zu all den anderen „normals“ stellen. ich möchte nicht in der Einsamkeit verschwinden mit meinen Gefühlen und Gedanken. ich möchte sichtbar sein. all dies werde ich niemals jemandem auf der Straße erzählen und erst recht nicht, wenn die Jungs neben mir stehen. und das liegt nicht daran, dass ich mich dafür schäme, sondern daran, dass für solche Gespräche in aller Regel die Zeit fehlt. und doch ist es wichtig, darüber zu sprechen, finde ich. sichtbar zu machen, wo genau die Probleme liegen und was genau die Herausforderungen sind.

ich denke wieder darüber nach, hier die einfachsten und günstigsten Rezepte, die ich immer wieder benutze, zu verbloggen. aber ich denke gerade auch um und beobachte noch. alles ist im Fluß. alles verändert sich. ich halte nach wie vor ein schönes Zuhause und gutes Essen für Grundpfeiler meines Lebens und für etwas, was nicht von Geldmangel zerstört werden sollte. und ich taste mich durch diese neuen Situationen und in die neuen Herausforderungen, hinterfrage meine Ängste und bereite mich auf irgendwas vor, was vor mir liegt.

noch 2 Mal schlafen, dann ist Heiligabend. wir werden den Baum schmücken und 3 Nüsse für Aschenbrödel gucken und nach der Bescherung Fondue essen. ganz spießig. regelrecht konservativ. wir wünschen uns das so. es war eine Mehrheitsentscheidung. so möchte ich leben. alles ist im Fluß. ich lerne neu. langsam zwar, aber ich lerne. und ich habe Geduld. mit den Kindern. und mit mir.

 

frohe Weihnachten Euch allen,

Minusch

8 Antworten auf „noch 2 Mal schlafen

  1. Ich drück dich!
    (Hier ist das alles ganz ähnlich, sowohl die Stimmung und Gefühlslage, als auch das Drumherum.)
    Und ich bin zuversichtlich, dass es wird. ❤
    Die günstigen Rezepte würden mich sehr interessieren, hier muss auch arg gespart werden, und das Kind ist mäkelig beim Essen, deswegen freue ich mich über Tipps.
    Alles Gute für dich und euch!

  2. Frohe Weihnachten, Minusch! Danke, dass Du Deine Erfahrungen teilst. Du machst das alles ganz wunderbar. Schritt für Schritt. Und mit jedem Schritt findet sich der weitere Weg. Du bist schon so weit gekommen, hast so viel geschafft. Gesteh Dir zu, dass Du erschöpft und verzweifelt bist. Aber schau auch hin, was Du schaffst. Ich lese Dich immer wieder gern und gehe mit – unsichtbar.

  3. Liebe Minusch, was soll ich sagen? Ich drück Dich, würde Dich so gern mit meiner Mutter und all den Frauen verknüpfen, die es schon hinter sich haben, die Deine Tiefs und Hochs verstehen, wirklich verstehen und bei denen Du Dich nicht rechtfertigen musst. Gibt es niemanden in der Umgebung, der in einer ähnlichen Situation ist, mit dem Du Dich zusammentun kannst und Euch gegenseitig auch mal die Kinder abnehmen, wenn Du Zeit für Dich brauchst? Wir hatten das zuhause und so hatte ich das Glück mit vielen Müttern und Geschwistern aufzuwachsen.

    Fühl Dich ein wenig umarmt und lass es raus – wenigstens hier und ja, bitte Rezepte, wenn Du die Energie findest.

    Herzlich, Juna

    1. ich habe tatsächlich jemanden gefunden, die in einer ähnlichen Situation ist und mit der ich mich auf eine Art verständigen kann, die hier die Grenzen sprengen würde. eines meiner vielen Weihnachtswunder…

      die Rezepte kommen bestimmt noch…in mir brodelt es ohnehin ❤

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